Den Rechtsanspruch im Blick! – Chancen und Herausforderungen des Ganztagsförderungsgesetzes für die kommunale Verantwortungsgemeinschaft – Implikationen für die kommunale Planung und Steuerung des GaFöG
Am 24.11.2022 fand im Factory Hotel in Münster die dritte Veranstaltung in der Reihe „Implikationen des Rechtsanspruchs“ im Projekt DialOGStandorte statt. Anders als bei den Veranstaltungen zuvor, wurde dieser Fachtag in Kooperation mit dem LWL-Landesjugendamt Westfalen-Lippe, dem LVR-Landesjugendamt Rheinland, der Bezirksregierung Münster sowie der Serviceagentur »Ganztägig lernen« Nordrhein-Westfalen organisiert und durchgeführt.
André Altermann, Mitabeiter beim Institut für Soziale Arbeit e.V., Projektleiter DialOGStandorte und Tagesmoderator der Veranstaltung begrüßte stellvertretend für die Kooperationspartner:innen die circa 130 Teilnehmenden und führte thematisch in den Tag ein. Dabei betonte Herr Altermann sowohl die Chancen, als auch die Herausforderungen, die mit dem Rechtsanspruch auf ganztägige Förderung für Grundschulkinder verbunden sind:
Mit der Ergänzung des § 24 Abs. 4 SGB VIII ab den 01.08.2026 hat der Bund das verbindlich gemacht, wofür sich Fachverbände, Fachpolitik, Expertinnen und Experten seit langem stark machen, nämlich die koordinierte Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule zum Wohle der Kinder.
Zwar hat sich NRW von Beginn an für das sog. Trägermodell stark gemacht und tatsächlich arbeiten heute ca. 94% der Grundschulen in NRW als offene Ganztagsgrundschulen und die überwiegende Mehrzahl dieser Ganztagsschulen kooperieren mit einem freien Träger der Jugendhilfe, die verantwortlich die außerunterrichtlichen Angebote gestalten und organisieren. Dies geschieht aber überwiegend - mit wenigen Ausnahmen im Land – ohne ausreichende Anbindung oder Abstimmung mit der örtlichen Jugendhilfe. Durch die Realisierung des Gesetzes im SGB VIII wird die örtliche Jugendhilfe nun zum Garanten des Rechtsanspruchs. Aus einer fachlichen Verantwortungsgemeinschaft wird auf diesem Wege nun auch eine rechtliche Verantwortungsgemeinschaft die maßgeblich durch die Schulaufsicht, die kommunalen Schulträger und die örtliche Jugendhilfe gebildet wird.
D.H. nicht, dass wir für eine gelingende kindorientierte, inklusive Ganztagsbildung im Kontext der Ganztagsschule nicht auch die Freie Jugendhilfe, den Sport, Akteure aus Kultur, Kunst und sonstigen zivilgesellschaftlichen Akteuren brauchen, denn die Entwicklung von förderlichen Bedingungen des Aufwachsens ist eine gemeinschaftliche Aufgabe vieler Akteure. Dennoch und dies entspricht auch den bildungspolitischen Debatten der letzten zwei Dekaden, verbleibt die Gewährleistungspflicht für eine ganztägige Förderung für Grundschulkinder im Kontext der offenen Ganztagsschule bei der örtlichen Jugendhilfe und den Schulträgern.
Im Grunde ist dies auch nur folgerichtig, denn Bildung findet vor Ort, in den Quartieren und Sozialräumen der Kinder und Jugendlichen statt. Damit ist nicht nur schulische Bildung, sondern auch Lebensbildung in einem erweiterten umfänglichen Sinne gemeint. Im Kontext der offenen Ganztagsgrundschule, die wir gleichermaßen zum Lern- und Lebensort für Kinder weiterentwickeln möchten und mit Blick auf eine Umsetzung des Rechtsanspruchs über das Jugendhilfegesetz, ist in diesem Zusammenhang von dem Dreiklang Bildung; Erziehung und Betreuung zu sprechen, den es zu beachten gilt. Drei zentrale Handlungsansätze, die in der multiprofessionellen Kooperation gut aufeinander abgestimmt sein sollten – und dies sowohl auf der Praxisebene als auch auf der kommunalen Steuerungsebene. Bildung ist somit eine zentrale Kooperations- und Vernetzungsaufgabe zwischen den kommunalen Ämtern, denn die kommunale Ebene ist die entscheidende Instanz zur qualitativen Ausgestaltung von Bildungsinstitutionen. Aktuell stoßen die Akteure auf viele Herausforderungen, denn angesichts der bestehenden Raum- und Flächenproblematik und angesichts des sicherlich noch länger anhaltenden Personalmangels wird es einen erheblichen Kraftakt erfordern, die notwendigen Plätze bereitzustellen.
Jenseits dieser Mengenproblematik haben wir als gestalltende Akteure aber auch die Chance, den Ganztag qualitativ weiterzuentwickeln, in dem wir gemeinsam mit Partner:innen aus Land und Kommunen daran arbeiten, die Rahmenbedingungen im Ganztag zu verbessern und verbindlicher zu gestalten. Nutzen wir die Chancen, die sich durch die wiedergewonnene öffentliche Aufmerksamkeit durch Politik und Gesellschaft gerade bieten, für eine qualitativ hochwertige Ganztagsbildung die besten Voraussetzungen zu schaffen. Lenken wir unsere Blicke auch also auch oder insbesondere auf qualitative Aspekte, ohne die Herausforderungen des quantitativen Ausbaus zu vernachlässigen.
An diese Vorrede bzw. an dieses Plädoyer schloss der Hauptvortrag von Prof. Dr. Stephan Maykus von der Hochschule Osnabrück an. In seinem Vortrag mit dem Titel „Vom Betreuungsbedarf zur Bildungsoffensive? Impulse für die kommunale Bildungsplanung im Kontext des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung“, ging Prof. Dr. Maykus auf Aspekte der Ganztagsschule als Reformmodell ein und rief den ursprünglichen Hintergrund sowie die Zielstellungen seit Einführung der Ganztagsbildung zu Beginn der 2000er Jahre in Erinnerung. Neben einer verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf ging es auch um strukturell-inhaltliche Veränderungen des Bildungssystem bzw. der Institution Schule. Durch die Zusammenarbeit mit weiteren außerschulischen Akteur*innen, wie z.B. der Jugendhilfe –, sollten durch multiprofessionelle Kooperation reformpädagogische Ansätze in die Schule Einzug halten. Hierin liegt - laut Maykus – auch die Grundherausforderung der (kommunalen) Steuerung und Planung des offenen Ganztags begründet: Zum einen gilt es, einen Betreuungsbedarf und eine quantifizierbare Nachfrage an Betreuungsplätzen zu bedienen, andererseits zu einer Bildungsoffensive und (qualitativen) Weiterentwicklung des Systems Schule beizutragen.
Anknüpfend hieran thematisierte Prof. Dr. Maykus Implikationen, Chancen und Herausforderungen, die mit der Einführung des Rechtsanspruchs für Kommunen aufgeworfen würden. Er betonte in diesem Zusammenhang auch die veränderte und komplexere Steuerungssituation im Handlungsfeld Ganztag: Es werden verschiedene Rechtsbereiche und Systeme berührt (v.a. Jugendhilfe und Schule) und durch die Ausgestaltung des Rechtsanspruchs über das SGB VIII wird die örtliche Jugendhilfe zukünftig stärker als Akteurin in der Steuerung und Planung gefragt sein.
Zum Abschluss skizzierte Maykus Aspekte einer guten, sozialräumliche Bildungsplanung. Laut Maykus gilt es, das „Erfolgsdreieck der Planung“ bestehend aus „Empirie bzw. empirischen Daten“ (Wie lassen sich Lebenslagen und Angebote beschreiben bzw. wie entwickeln sie sich?), „Reflexion“ (Was sind Erklärungen, Bewertungen, Prognosen des Standes?) und „Kommunikation“ (Was sind Erfahrungen? Was sind Handlungsmöglichkeiten?) zu berücksichtigen. Die Formel „Schulentwicklungsplanung + Jugendhilfeplanung = Bildungsplanung“ greife aus seiner Sicht zu kurz. Für eine kommunale Bildungsplanung müssten vielmehr die Methoden, Konzepte und Daten beider Verfahren genutzt und deren Schnittstellen entlang einer bildungsbezogenen Perspektive interpretiert werden. Daraus ließe sich als ein Baustein einer übergreifenden Sozialplanung, eine kommunale (integrierte) Bildungsberichterstattung ableiten und die kommunale Bildungsplanung aufbauen.
Vortrag Prof. Stefan Maykus
In der anschließenden Frage- und Diskussionsrunde wurde insbesondere das Thema Fachkräfte, bzw. der derzeitige Fachkräftemangel im Handlungsfeld Ganztag diskutiert. In diesem Zuge wurde beispielsweise kritisch angemerkt, dass eine kommunale Steuerung des Ganztags, z.B. durch das Setzen kommunaler Standards, schwierig sei, da häufig die Fachkräfte zur Umsetzung solcher Standards fehlen würden. Dieses Dilemma sei kaum aufzulösen. Maykus merkte in diesem Zusammenhang an, dass eine kommunale Planung und Steuerung auch bei dem Fachkräftemangel weiterhelfen könne: Man müsse auch hier zunächst den Bestand sowie Bedarf erheben und hiervon ausgehend nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Gezielte und niedrigschwellige Nachqualifizierungen und Fortbildungen könnten zu einer Entschärfung der Problematik beitragen. André Altermann ergänzt, dass es eine erhebliche Anzahl an unfreiwillig teilzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen im System gebe und darüber hinaus viele Fachkräfte „aufgabenfremd“ eingesetzt werden. Auch um dem aktuellen und zukünftig sich weiter verschärfenden Fachkräftemangel begegnen zu können, müssen die systeminternen Beschäftigungsbedingungen zeitnah verbessert werden. Vertragsgestaltung, Mitarbeiter:innen-Bindung, Tarife, Eingruppierungen und Qualifizierung sind in diesem Zusammenhang lange vernachlässigte aber wichtige Stellschrauben, die die Anstellungsträger aber nicht oder nur schwer ohne Unterstützung durch die Landespartner:innen beeinflussen können.
Derlei Vorhaben scheitern oftmals an der finanzpolitischen Realität in finanziell belasteten Kommunen: Hier werden z.B. keine zusätzlichen Mittel für den Ganztag vorgesehen, um beispielsweise auch ‚Erzieher:innenstunden‘ im Vormittagsbereich zu finanzieren. Eine Teilnehmerin merkte in diesem Zusammenhang an, dass, solange es keine verbindlichen Gesetze gäbe, welche Kommunen zur Einhaltung gewisser Qualitätsstandards im Handlungsfeld OGS zwinge, es unwahrscheinlich sei, dass Kommunen sich, aus den oben genannten finanzpolitischen Gründen, selbst auf den Weg machen. Außerdem wird von Kommunen häufig darauf bestanden, die OGS-Trägerschaft in regelmäßigen Abständen neu auszuschreiben. Hierdurch werden Befristungen von Arbeitsverträgen mancherorts unausweichlich und die Attraktivität des Arbeitsfeldes sinkt.
Workshopphase - 3. Praxisbeispiele der kommunalen Planung und Steuerung des Ganztages
Nach der Mittagspause hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich in drei parallel stattfindenden Workshops, gelungene Praxisbeispiele der Steuerung des offenen Ganztags anzuhören und hierüber ins Gespräch zu kommen. Vertreten waren die Kommunen Dortmund, Münster sowie der Rhein-Erft-Kreis.
Den Workshop zum Praxisbeispiel Dortmund gestalteten Sigrid Rahmann-Peters als Referentin (Bereich Schulunterstützende Bildungsangebote / Koordination Offene Ganztagsschule) und André Altermann als Moderator. Frau Rahmann-Peters berichtete vom kürzlich in Dortmund eingerichteten kommunalen Steuerungskreis als Koordinationsgremium zur Umsetzung des Rechtsanspruchs in Ganztagsschulen im Primarbereich. Dortmund stellt mit fast 600.000 Einwohner*innen die drittgrößte Kommune in NRW dar. Entsprechend aufwändig und komplex gestaltet sich die Koordination und Abstimmung vor Ort, um den Herausforderungen und auch Chancen des Rechtsanspruchs zu begegnen. Bezogen auf die Weiterentwicklung der offenen Ganztagschulen wurde in Dortmund zeitnah die Notwendigkeit einer zentralen Verantwortungsgemeinschaft gesehen, um Pläne und Entscheidungen aus verschiedenen Fachbereichen zusammenzuführen. Insofern wurde der kommunale Steuerungskreis als Gremium mit der Absicht gegründet, nicht nur die Umsetzung des Rechtsanspruchs zu planen, sondern auch entsprechende Entscheidungskompetenzen zu bündeln. So sind beispielsweise unterschiedliche Fachbereichsleitungen aus dem Schulverwaltungsamt, Trägervertretungen, Personen aus der Immobilienwirtschaft sowie dem Jugendamt Mitglieder im Steuerungskreis.
Die aus dem Steuerungskreis entstandenen Arbeitskreise haben die Aufgabe, Konzepte zur qualitativen Weiterentwicklung verschiedener Handlungsfelder zu erarbeiten. Hierzu zählen Themen, wie die pädagogische Raumgestaltung, Fachkräftequalifizierung und -sicherung sowie die Entwicklung eines allgemeinen Qualitätsrahmens. Eine eigens entwickelte Taskforce erhebt zusätzlich, anhand einer fachlichen Bestandsaufnahme, den kommunalen IST-Stand und arbeitet so den Arbeitskreisen zu.
Trotz dieser personell bereits amts- und professionsübergreifend besetzten Gremien wurde schnell klar, dass es für eine partizipative und abgestimmte Konzeptentwicklung zusätzliche Entscheidungsträger sowie Vertreter*innen weiterer Ressorts und Rechtskreise am Tisch brauche. In Dortmund steht fest: Es müssen noch weitere Akteurinnen und Akteure einbezogen und in die kommunale Verantwortungsgemeinschaft aufgenommen werden, um eine gute qualitative Weiterentwicklung der offenen Ganztagsschulen voranzubringen.
Im Anschluss an den Input folgte eine rege Diskussion der Teilnehmer*innen. Austausch gab es u.a. über aktuelle Ist-Stände, verbreitete Problemlagen sowie innovative Ideen bzw. Lösungen aus den anwesenden Kommunen.
Deutlich wurde hierbei, dass die Verpflegungssituation an den offenen Ganztagsschulen in NRW vielerorts ein großes Problem darstellt: Um alle Kinder adäquat verpflegen zu können, bräuchte es innovative Konzepte, die den Herausforderungen, wie zu kleinen Küchen, zu wenigen Sitzgelegenheiten und zu lange Umbaumaßnahmen, begegnen. Diskutiert wurden u.a. Alternativen zu warmer Küche, wie beispielsweise Lunchpakete, die Anlieferung von portionierten Tellergerichten sowie Konzepte wie das der Zentralküche in Kamen, welche alle OGS im Stadtbereich beliefert und zentral gesteuert wird. Während derzeit viele Übergangslösungen in den offenen Ganztagsschulen Anwendung finden, waren sich die Teilnehmenden einig, dass es langfristig eine integrierte Betrachtung und Planung von pädagogischen Raumkonzepten für den offenen Ganztag brauche, welche durch die Kommune verantwortet und entsprechend hoch – auf Dezernatsebene oder höher – angesiedelt ist.
Zu der Überlegung, ob und inwiefern feste Referenzrahmen und Standards für offene Ganztagsschulen erarbeitet werden sollen, wurde deutlich, dass zu eng gefasste Standards aufgrund der (räumlichen, sozioökonomischen etc.) Unterschiedlichkeit der OGS-Standorte kaum umsetzbar wären. Eine gesamtstädtische Planung sowie eine ganzheitliche Schulentwicklungsplanung erhielten dennoch Zustimmung, wie es z.B. in Bielefeld im „Ganzheitlichen Schulentwicklungsplan Bielefelder Schulen“ geschehen ist.
Das Thema des Fachkräftemangels kam ebenfalls auf: So sind z.B. in Dortmund nur ein geringer Teil der Stellen in OGSen mit einschlägig ausgebildeten Fachkräften besetzt. Auch ein Fachkräftegebot würde hier nicht weiterhelfen, da zu dessen Umsetzung die Fachkräfte fehlen. In diesem Zuge wurde für ein Umdenken plädiert, z.B. durch die Anerkennung von Abschlüssen aus dem Ausland, durch die Kombination unterschiedlicher Stellen (sodass mehr Vollzeitstellen angeboten werden können), durch Fortbildungsmöglichkeiten für Quereinsteiger*innen, sowie durch eine bessere Bezahlung.
Darüber hinaus gab es Unklarheit in Bezug auf den anstehenden Rechtsanspruch und damit einhergehende rechtliche Fragen. Zum Teil berichteten die Teilnehmenden von abwartenden Haltungen bezogen auf Förderprogramme, bevor sie konkrete Schritte, wie beispielsweise neue Baumaßnahmen angehen. Hier stand die Frage, ob die Kommunen erst handeln sollten, wenn politische Entscheidungen in Bezug auf die Umsetzung des Rechtsanspruchs gefallen sind, der Haltung gegenüber, dass man bis dahin solche Veränderungen angeht, die man bereits jetzt beeinflussen kann. Damit einhergehend gab es auch die Erkenntnis, dass die wenigsten Kommunen genügend finanzielle Mittel haben, alle offenen Ganztagsschulen bis 2026 so anzupassen, dass sie dem Rechtsanspruch genügen. Diese Erwartungshaltung müsse überdacht werden.
Abschließend wurde festgehalten, dass die anstehenden Entwicklungsschritte zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf allen Ebenen – Praxisebene, kommunale Steuerung, kommunal- und Landespolitik – gemeinsam, im Zusammenwirken der unterschiedlichen Akteure und Professionen, gegangen werden müssen, sodass der „kooperative Ganztag“ nicht nur ein auf der Praxisebene gelebter Ausdruck ist.
Im Rahmen des Workshops zum Praxisbeispiel Münster, berichtete Karin Schild, Fachstellenleitung OGS beim Jugendamt Münster, über die Entwicklung der Qualitätsstandards für offene Ganztagsschulen sowie über aktuelle und zukünftige Herausforderungen. Der Workshop wurde von Irmgard Grieshop-Sander, Fachberaterin zur Ganztagsbildung im Primarbereich beim Landesjugendamt Westfalen-Lippe (LWL), eröffnet und moderiert.
Frau Schild berichtete zunächst über Daten und Fakten zur Umsetzung des offenen Ganztags in Münster. Der Ausbau wird hier bereits seit 2003 vorangetrieben. Mittlerweile ist fast jede Primarschule eine OGS und das Angebot wird von 73 % der Münsteraner Kinder wahrgenommen. In Münster liegt die Besonderheit der OGS-Ausgestaltung darin, dass Fachaufsicht und die offenen Ganztagsschulen bislang in kommunaler Trägerschaft lagen. Aktuell laufen Interessenbekundungsverfahren, um den OGS-Bereich an freie Träger zu überführen. Mittlerweile sind bereits 25 OGS (von insgesamt 43) in freier Trägerschaft. Perspektivisch werden auch die übrigen Standorte vergeben werden. Bei der Auswahl der freien Träger werden die Schulleitungen intensiv beteiligt, denn letzten Endes sind es Schule und Träger, die vor Ort miteinander arbeiten und auskommen müssen.
2018 wurden einheitliche Qualitätsstandards für offene Ganztagsschulen in Münster erarbeitet. Sie stellen eine verbindliche Struktur für alle OGS dar. Die Standards dokumentieren den Anspruch an eine zeitgemäße, fachlich integrierte OGS, die von einer Kooperation auf Augenhöhe geprägt ist. So heißt es im Konzept: „Die verzahnungsintensiven Offenen Ganztagsschulen zeichnen sich aus durch anspruchsvolle Formen von Kooperation zwischen Lehrkräften und außerunterrichtlichem pädagogischen Personal.“ Die Standards wurden vom Amt für Kinder, Jugendliche und Familie in Kooperation mit dem Schulamt für die Stadt Münster und dem Amt für Schule und Weiterbildung entwickelt und per Ratsbeschluss verabschiedet. Sie umfassen Struktur-, Leistungs- und Qualitätsziele. Im Rahmen des Inputs leitet Frau Schild durch die Hauptaspekte des Papiers, um im Anschluss den Blick auf die aktuellen Herausforderungen zu richten.
Diese sind, wie auch in anderen Kommunen, geprägt von einem steigenden Bedarf an OGS-Plätzen. Allein seit Beginn des Schuljahres 2022/23 gibt es 34 neue Gruppen (eine Gruppe = 25 Kinder), was bei einem Schlüssel von einer Fachkraft pro Gruppe einen Neubedarf von 34 Fachkräften zur Folge hat. Nicht nur räumlich, sondern auch personell werden damit Grenzen erreicht. Ob der vom Gemeinderat beschlossene Satz „Jede/r der/die einen Ganztagsplatz möchte, bekommt auch einen.“ langfristig einhaltbar ist, muss in Frage gestellt werden. Auch werden an einzelnen Schulen Machbarkeitsstudien durchgeführt, um Raumlösungen, auch für die Mittagsverpflegung, zu finden. In diesem Zusammenhang haben Schulverwaltungsamt, Gesundheitsamt, Jugendamt und Immobilienmanagement der Stadt gemeinsam überlegt, was es für eine gute Mittagsverpflegung braucht. Daraus abgeleitet wurde ein Musterraumprogramm entwickelt und per Ratsbeschluss verabschiedet. Bezüglich des Fachkräftemangels betont Frau Schild die Notwendigkeit, mehr Vollzeitstellen anbieten zu können und die Bezahlung, vor allem der Leitungskräfte, anzupassen. Lösungsvorschläge werden mit dem Gemeinderat diskutiert, denn wie Frau Schild richtig sagt: „Ohne Fachkräfte können wir keine weiteren Gruppen eröffnen“.
Im Anschluss ging Frau Schild auf die Planungs- und Steuerungsprozesse in Münster ein. Dabei wurde deutlich, dass die Kooperation von Jugendamt, Schulverwaltungsamt und unterer Schulaufsicht sehr eng ist und sie gemeinsam die Steuerungsgruppe bilden. Mit der zunehmenden Übernahme der OGS durch freie Jugendhilfeträger gibt es zusätzlich eine Trägerkonferenz zwischen Jugendamt und OGS-Trägern. Im Rahmen eines Qualitätszirkels diskutieren außerdem Vertretungen von Schulleitungen, OGS-Koordinationen, freien OGS-Trägern, Verwaltung, Schulaufsicht und Stadtelternschaft aktuelle Themen. Denn den oben genannten Herausforderungen kann nur gemeinsam begegnet werden.
Abschließend fasst Frau Schild Gelingensfaktoren zusammen, die unabdingbar sind, um auch zukünftig den offenen Ganztag in Münster gut umsetzen zu können:
- Es braucht ein erweitertes Schulleitungsteam, das eine OGS gemeinsam steuert, bestehend aus Schulleitung und OGSKoordination, die gleichberechtigt und auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
- Eine enge Verzahnung der Fachbereiche innerhalb der Verwaltung ist unabdingbar.
- Eine Schule – Ein Träger Prinzip: Außerunterrichtliche Angebote und Hilfen sollen künftig am jeweiligen Schulstandort von einem Träger angeboten werden, um besser planen und auch Personal sinnvoll einsetzen zu können.
Der Austausch im Anschluss an den Input war insbesondere von Personalthemen und damit einhergehenden rechtlichen Fragen geprägt, beispielsweise bzgl. der Beschäftigung von Honorarkräften. In diesem Zuge verwies Frau Grieshop-Sander u.a. auf die jeweiligen Bezirksregierungen, die bei solchen Fragestellungen ebenfalls Rechtsauskunft geben können. Bezüglich der Fachkräftediskussion wurde berichtet, dass Lorenz Bahr, Staatssekretär im Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW eine ‚Koordinierungsgruppe Fachkräfte in der Jugendhilfe‘ gegründet hat. Dort geht es um die Themen (Nach)Qualifizierung sowie Akquise und Sicherung von Fachkräften.
Abschließend wurde im Forum die Frage nach dem Einsatz von Lehrerstunden aufgeworfen und, ob diese zukünftig auch im Nachmittagsbereich eingesetzt werden. Falls Lehrkräfte diese Stunden nicht am Nachmittag einsetzen, bräuchte es ein Signal vom jeweiligen OGS-Träger, sodass die zuständige Fachstellenleitung der Kommune auf die Schulleitung und/oder auf die untere Schulaufsicht zugehen kann.
Zusammenfassend wurde an dem Beispiel aus Münster deutlich, wie wichtig es ist gemeinsam Qualitätsstandards zu definieren, diese stetig zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Ebenfalls wurde nochmals betont, dass den benannten Herausforderungen nur in einer abgestimmten und verzahnten Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene begegnet werden kann und die Ergebnisse für alle transparent kommuniziert werden müssen. Die Teilnehmenden waren beeindruckt von den erarbeiteten Qualitätsstandards zur Umsetzung der OGS in Münster und werden sicherlich auf das von Frau Schild gemacht Angebot, sich bei weiteren Fragen direkt an sie zu wenden, zurückkommen.
Präsentation Münster
Für den Rhein-Erft-Kreis präsentierten Manuel Busch (Schulamt für den Rhein-Erft-Kreis) und Dr. Karin Kleinen (LVR-Landesjugendamt Rheinland) die „interkommunale Qualitätsoffensive Rhein-Erft-Kreis zur Umsetzung des Rechtsanspruches“. Frau Dr. Kleinen, die den Landkreis bei der Qualitätsoffensive beraten und begleitet hat, ging zunächst darauf ein, wie wichtig im Zuge der Einführung des Rechtsanspruchs die Setzung eines qualitativ hochwertigen Rahmens und entsprechenden Mindeststandards auf Landesebene sei, um den offenen Ganztag auf breiter Fläche weiterzuentwickeln. Unabhängig davon bleiben die Kommunen und Landkreise jedoch gefordert, da, egal wie der Rahmen ausgestaltet sei, dieser vor Ort mit Leben gefüllt werden müsse, denn: „Das Land setzt den Rahmen, doch vor Ort spielt die Musik“.
Hieran anschließend ging Manuel Busch näher auf die Arbeit im Rhein-Erft-Kreis ein. Vor dem Hintergrund diverser Herausforderungen, wie der Zunahme von Kinderzahlen im offenen Ganztag, der Unzufriedenheit mit der Qualität der OGS und einem Auseinanderdriften der Entwicklungen in den einzelnen kreisangehörigen Kommunen, entschied man sich in dem Landkreis dazu, eine Qualitätsoffensive zu initiieren. Zunächst wurde hierzu eine Planungsgruppe bestehend aus den drei Schulrät*innen (Grundschule/ OGS/ Inklusion) ins Leben gerufen, die extern durch den LVR und die Montagsstiftung beraten und begleitet wurde. Zielsetzungen der Qualitätsoffensive sind u.a. die Entwicklung der OGS zur inklusiven Bildungseinrichtung, die optimale Nutzung vorhandener Bord-Mittel, das Initiieren und Ausbauen von Vernetzungen sowie das Erarbeiten eines gemeinsamen Steuerungsverständnisses.
Die Schulrät*innen führten zunächst Gespräche mit wichtigen Vertreter*innen aller kreisangehörigen Kommunen, um in diesem Zuge auch Werbung für die Qualitätsoffensive zu machen. Im Jahr 2015 gab es dann eine Auftaktveranstaltung, bei der wichtige Akteur*innen aus den Kommunen (oftmals Bürgermeister*innen) anwesend waren. Hier ging es zunächst darum, die Qualitätsoffensive mit ihren Zielen kennenzulernen und in diesem Zuge auch Anregungen für deren Weiterentwicklung zu sammeln. Außerdem sollte das weitere Vorgehen sowie die Mitwirkungsmöglichkeiten zur Umsetzung der Qualitätsoffensive geklärt werden. Darauf aufbauend wurden in interessierten Kommunen Zukunftswerkstätten veranstaltet. Hier wurden u.a. Ziele für die Vorhaben der jeweiligen Kommunen definiert sowie die Beteiligung an der Steuerung geklärt.
Aus dieser Initiative und den Steuerungstreffen hat sich mit der Zeit der interkommunale Qualitätszirkel herausgebildet, welcher 2018 offiziell gegründet wurde. Er besteht aus wichtigen Vertreter*innen der kreisangehörigen Kommunen und stellt für die Kreisebene eine bedeutende Verbindung ins kommunale Geschehen dar. Im Vorfeld der Sitzungen werden zunächst durch die Steuerungsgruppe Themen – z.B. durch eine Online-Abfrage – eruiert. Auf dieser Basis werden Schwerpunkte der Sitzungen festgelegt und (externe) Referent*innen bzw. Expert*innen angefragt. in der Regel gibt es bei i den Sitzungen s einen Praxisimpuls, aber es werden auch immer Zeiten für den Austausch – sowohl innerhalb als auch zwischen den kreisangehörigen Kommunen - vorgesehen.
Neben dem interkommunalen Qualitätszirkel als Herzstück, wurden im Rahmen der Qualitätsoffensive außerdem sechs Grundschulen in unterschiedlichen kreisangehörigen Kommunen, gemeinsam mit der Montagsstiftung, bei ihren individuellen Qualitätsentwicklungsvorhaben unterstützte und begleitet. Weiterhin wurde eine Trägerkonferenz initiiert mit dem Ziel, eine enge Kooperation der Trägervereine im Ganztag im Rhein-Erft-Kreis voranzubringen und das gemeinsame Ziel eines qualitativ hochwertigen inklusiv gestalteten Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebots im Ganztag zu sichern und fortzuschreiben.
Im Anschluss an den gemeinsamen Vortrag von Frau Kleinen und Herrn Busch wurde die Diskussions- und Fragerunde eröffnet. In dieser wurden in erster Linie Herausforderungen der Steuerung des offenen Ganztags in Landkreisen diskutiert. Es wurde beispielsweise angemerkt, dass es schwierig sei, in Landkreisen steuernd auf die kreisangehörigen Kommunen einzuwirken, da diese häufig eigene Prioritäten setzen. Es sei ein Dilemma, dass sich der Rechtsanspruch an den öffentlichen Jugendhilfeträger richte und dieser sich in manchen Landkreisen auf Kreisebene befinde und die Einflussmöglichkeiten auf das kommunale Geschehen folglich begrenzt seien. Diesbezüglich wurde angemerkt, dass es in diesem Falle sehr wichtig sei, die untere Schulaufsicht für den Primarbereich mit ins Boot zu holen, da sie kreisweit agieren und auf die Schulen zugehen könne.
Zudem wurde kritisch hinterfragt, dass der Ansatz des Rhein-Erft-Kreises, mit allen kreisangehörigen Kommunen gleichzeitig in die Qualitätsentwicklung zu starten, die Steuerungsstrukturen in manchen Kreisen überlasten würde. Als möglicher alternativer Ansatz wurde vorgeschlagen, zunächst mit einer Pilotkommune zu starten und die Entwicklungen auf andere Kommunen zu übertragen.
Die Diskussion im Anschluss an den Praxisimpuls zeigte, dass es einen großen Bedarf an Prozessberatung durch Externe auf unterschiedlichen Ebenen und zu unterschiedlichen Fragen (Steuerung, Raumgestaltung, Personal) gibt. Weiterhin wurde klar, dass Kommunen – über das Handlungsfeld Ganztag hinaus - vor vielen Herausforderungen stehen, aus denen sich entsprechende Sachzwänge ergeben. Solange es keine rechtlich bindenden Vorgaben für Kommunen im offenen Ganztag gibt - z.B. bzgl. Qualität, Personal und Räumen - werden, vor dem Hintergrund vielerorts knapper finanzieller Ressourcen, bei kommunalen Entscheidungsträger*innen, wie z.B. Bürgermeister*innen oder Kämmerer*innen, andere Themen Priorität haben und sich zukünftig wenig an der derzeitigen Situation im Bereich offener Ganztag ändern. Es brauche aus diesem Grund schnell ein Landesausführungsgesetz zum Rechtsanspruch, welches Klarheit und v.a. Sachzwänge für die Kommunen schafft.
Präsentation Rhein-Erft-Kreis
Fazit und Ausblick
Zum Abschluss der Veranstaltung zogen Irmgard Grieshop-Sander (Fachberatung beim LWL-Landesjugendamt) und André Altermann ein Resümee des Tages.
Hierin betonten sie, dass ein zentraler Leitstern des Gelingens für die Umsetzung des Rechtsanspruchs und die gelingende Qualitätsentwicklung im offenen Ganztag eine ämter- und professionsübergreifende Zusammenarbeit und Planung sei. Zur Umsetzung des Ganztagsförderungsgesetzes ist dies mehr denn je gefordert, da die einzelnen Systeme/ Ämter (Schulverwaltung, Jugendamt, Schulamt, …), wenn sie diese Herausforderung allein angehen würden, schnell an ihre Grenzen kämen. Diese ämter-/professionsübergreifende Zusammenarbeit sollte dabei auf einer gemeinsamen konzeptionellen Grundlage bzw. Leitidee des Ganztages fußen, welche die Adressat*innen - und hier in erster Linie die Kinder – in den Mittelpunkt stelle. Es brauche in diesem Zuge auch die Entwicklung einer gemeinsamen fachlichen Haltung als Basis einer gelingenden Zusammenarbeit.
Jedoch haben die Diskussionen an dem Tag auch verdeutlicht, dass die Kommunen so schnell wie möglich eine Klarheit – in Form eines Landesausführungsgesetzes – bezüglich der Umsetzung des Rechtsanspruches brauchen, um endlich in die konkrete Planung einsteigen zu können. Dieses müsse Mindeststandards für eine Qualität im Ganztag vorsehen und den Kommunen für deren Umsetzung auch entsprechende Ressourcen zur Verfügung stellen.
Nichtsdestotrotz können und müssen sich Kommunen und Landkreise bereits jetzt auf den Weg machen, die entsprechenden ämter- und professionsübergreifenden Steuerungs- und Planungsstrukturen zu etablieren, die es später für die kooperative Umsetzung des Rechtsanspruchs braucht, denn:
„Wer an das andere Ufer möchte, muss so oder so den Fluss überqueren, warum sich nicht auf den Weg machen?“ (Irmgard Grieshop-Sander)