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5. interkommunales Netzwerktreffen – Facetten kindorientierter Rhythmisierung und Schulentwicklung

Am 08.06.2022 konnte das 5. interkommunale Austauschtreffen der Praxisebene – sehr zur Freude der Projektverantwortlichen - zum ersten Mal in Präsenz, in den Räumlichkeiten des Wissenschaftsparks in Gelsenkirchen, stattfinden. Inhaltlich wurde unter dem Titel „Facetten kindorientierter Rhythmisierung und Schulentwicklung“ an das vorherige Austauschtreffen angeknüpft, bei welchem ein allgemeiner Einstieg in das Thema „Rhythmisierung und Verzahnung in der OGS“ vollzogen wurde. Dieses zeigte aus Sicht der Projektverantwortlichen, dass das Thema Rhythmisierung viele andere Aspekte der Schulentwicklung berührt: Für eine kindorientierte Rhythmisierung braucht es beispielsweise entsprechende Räumlichkeiten, welche die über den ganzen Tag verteilten, kindlichen Bedürfnisse adressieren und es braucht entsprechende Absprachen im multiprofessionellen Schulteam, um die Rhythmisierung zu gestalten und personell zu begleiten. 

Ausgehend von dieser Erkenntnis wurde das 5. Interkommunale Austauschtreffen geplant und den Teilnehmenden wurden drei verschiedene Workshops in zwei identischen Durchgängen zu ausgewählten Facetten kindorientierter Rhythmisierung und Schulentwicklung angeboten. Im Anschluss an die Workshops hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, bei einer gemeinsamen Mittagspause und einem offenen Ausklang die gemachten Eindrücke im interkommunalen Austausch zu vertiefen und sich miteinander zu vernetzen.


Workshop „Rhythmisierung und Räumlichkeiten“

Im Workshop „Rhythmisierung und Räumlichkeiten“ wurde das Ganztagskonzept der Gottfried-Kinkel-Schule in Bonn durch den Schulleiter Christian Eberhard vorgestellt. Das Konzept beruht auf den Bildungsgrundsätzen NRW sowie dem Raumkonzept nach Rosan Bosch, welches auf den Elementen Mountaintop, Movement, Campfire, Waterhole, Cave und Hands on basiert. (Für mehr Informationen siehe hier.) Darüber hinaus berücksichtigt die Schule in der Gestaltung des Alltages das 4K Modell: Kreativität, Kritisches Denken, Kommunikation sowie Kollaboration. Ein weiteres Element des Konzeptes ist der wöchentlichen „Freiday“, an dem die Schüler*innen an Projekten zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung arbeiten.

An der Gottfried-Kinkel-Schule können sich die Schüler*innen ihre Lernorte zu vielen Zeitpunkten selbst aussuchen. Grundlage ist hier ein multifunktionales Raumkonzept u.a. mit mobilen Trennwänden und themenspezifischen Räumen, denen sich die Kinder mit Hilfe des Klammersystems selbst zuordnen. Die Klammern geben dabei jeweils den Lernort der Kinder an. Dem Motto „Dem Lernen Raum geben“ getreu entsteht so ein Werkstattcharakter der Schule.         Die Raumgestaltung beschränkt sich aber nicht nur auf die Räume der Schüler*innen, sondern macht auch aus einem „Lehrerzimmer“ einen „Personalraum“, der offen für alle Angestellten der Schule ist.

Die Tagesstruktur besteht aus festen Lernzeiten im Klassenrahmen, die von den Schüler*innen flexibel genutzt werden können. Ab mittags findet eine gemeinsame Betreuung durch Erzieher*innen und Lehrer*innen statt. Hierfür ist ein neues Rollenverständnis der Lehrer*innen notwendig: Sie verstehen sich als Lernbegleiter*innen über den fachspezifischen Unterricht hinaus. Grundsätzlich werden die Gestaltungsmöglichkeiten des Lernens zwischen den Mitarbeitenden in der Schule und den Schüler*innen immer wieder ausgehandelt, sodass auch Schüler*innen, die Schwierigkeiten mit dem offenen Konzept der Schule haben, unterstützt werden.           

Im Anschluss an den Vortrag wurden diverse Themen diskutiert. So wurde zum einen die Beaufsichtigung der Kinder bei freien Bewegungsmöglichkeiten hinterfragt. Herr Eberhard berichtete hier von einer „gefühlten“ Beaufsichtigung dadurch, dass nahezu alle Türen zu den unterschiedlichen Räumen stets offen stünden und einem dazugehörigen Vertrauensvorschuss für die Schüler*innen. Ebenso berichtete er, dadurch, dass die Schüler*innen weniger „eingepfercht“ würden, von dem Wegfall unterrichtsbezogener Probleme, z.B. Konzentrationsproblemen von Schüler*innen, die dauerhaft an ihrem Platz sitzen müssen. Deutlich wurde aber auch, dass dieses umfassende Ganztageskonzept nur möglich sei, da fast alle Kinder dauerhaft am Ganztag partizipieren und grundlegende Strukturen die offene Gestaltung begleiten. Dass alle Angestellten der Schule mit dem Konzept übereinstimmen müssen, ist ebenfalls sehr wichtig: Die individuelle Haltung und Rollenklarheit muss immer wieder ausgehandelt werden, sodass sich das Team dauerhaft als Verantwortungsgemeinschaft versteht. Um sich aber konstant auf die Mitarbeiter*innen verlassen zu können, sei deren Zufriedenheit sehr wichtig. Diese wird an der Gottfried-Kinkel-Schule u.a. durch regelmäßige Großteamsitzungen sowie den Einbezug aller und die Wertschätzung aller in ihren Rollen gewährleistet. Allerdings wurde in der Diskussion die Umsetzbarkeit an anderen Schulen bezweifelt, da nicht alle Lehrenden bereit seien, ihre bekannten Unterrichtsstrukturen aufzugeben. So wurde festgehalten, dass es für die Neugestaltung von Ganztagsschulen ein Umdenken über die Lehrer*innenrolle brauche. Die Präsentation zu dem Workshop folgt in Kürze.


Workshop „Rhythmisierung und Gestaltung von Außenflächen“

Im Workshop zum Thema „Rhythmisierung und Gestaltung von Außenflächen“ stellte Anne Weddeling-Wolff die Martinus-Schule aus Meerbusch vor, die sie selbst als „kleine Flurschule mit großem Außengelände“ beschreibt. Hier wurde im Rahmen eines mehrjährigen Projektes der Schulhof kindorientiert umgestaltet. Im Zusammenhang mit der Rhythmisierung benennt sie das Außengelände als entscheidenden Raum mit großem Potential. Für das Ziel, den Schulhof als naturnahen Erlebnisraum umzugestalten, benötige es vor allem ein engagiertes, multiprofessionelles Team, das Einbinden der Eltern sowie eine gelingende Zusammenarbeit mit der Stadt. Zudem war für die Umgestaltung von Anfang an klar, dass die Schüler*innen der Schule intensiv am Planungs- und Umbauprozess beteiligt werden sollten. So wurden ihre Bedarfe in einem ersten Schritt beispielsweise mit kindgerechten Methoden erfasst. Wichtig war allen Beteiligten, dass der Schulhof so gestaltet wird, dass Verbote möglichst vermieden werden können. Darüber hinaus waren der Einbezug einer Landschaftsplanerin und die enge Zusammenarbeit mit dem Hausmeister wichtige Aspekte bei der Umgestaltung. Die Finanzierung der Schulhofumgestaltung wurde u.a. auch durch den Einbezug der Schüler*innen gemeistert, z.B. durch einen Basar.

Die tatsächlichen Umbaumaßnahmen fanden häufig an Samstagen in Zusammenarbeit von Eltern und Angestellten der Schule sowie den Schüler*innen selbst statt – bedeutete also eine zusätzliche Belastung für alle über den Schulalltag hinaus. Um diese möglichst gut zu bewerkstelligen, wurden Arbeitsgruppen mit verschiedenen Themenschwerpunkten gebildet, die so z.B. auch die langfristige Versorgung der Pflanzen sichern. Der umgestaltete Schulhof biete ganz neue Räume für Lernen, Kreativität und Spielen und wird, wie Frau Weddeling-Wolff berichtete, auch von den Lehrenden ganz anders genutzt als vorher.         

Diskutiert wurde im Anschluss an den Vortrag u.a., dass die Umsetzung einer solchen Schulhofumgestaltung nur in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung funktionieren könne. Es brauche also die grundsätzliche Einwilligung sowie finanzielle Unterstützung der Stadt, was verschiedene Kommunen vor unterschiedliche Herausforderungen stelle. Als Idee für Verhandlungsgespräche mit der Stadt wurde vorgeschlagen, die Schüler*innen in die entsprechenden Gespräche miteinzubeziehen.       
Ein bei der tatsächlichen Planung zu berücksichtigender Punkt sei der Umgang mit Lärmstörungen im Unterricht, wenn der Schulhof während der Unterrichtszeiten viel genutzt wird. Bei der Überlegung, inwiefern die Schüler*innen geschlechterspezifische Aktivitäten auf dem Schulhof benötigen, berichtete Frau Weddeling-Wolff, dass dies bei einem naturnahen Schulhof überflüssig würde, denn „neutral“ gestaltete Orte würden von Kindern im Spiel zu allem genutzt, was ihre Kreativität erlaubt. Zudem stellte sich heraus, dass es keinen perfekten Zeitpunkt für die Schulhofumgestaltung gebe und man nicht nach zu vielen Gründen, nicht anzufangen, suchen sollte. Jedoch kann die Umgestaltung auch als Überbelastung wahrgenommen werden, sodass auch nicht überstützt geplant werden solle. Ein umgestalteter Schulhof kann allerdings auch als neuer Sozialraum für das Viertel dienen; er ist also voller Möglichkeiten. Zur Frage, wie man an Sponsor*innen für eine Schulhofumgestaltung käme, wurden folgende Vorschläge gemacht: Förderverein, Schulfest, Verhandlungen mit der Stadtverwaltung, Sparkassen-Stiftung, Landschaftsverbände, Sponsorenläufe sowie die stetige Überlegung, was man selbst machen kann, um bei den Arbeiten Geld zu sparen.                   

Abschließend wurden noch einige Punkte festgehalten: Das Außengelände ist genauso wichtig, wie die Innenräume der Schule, wird aber bei der Stadtverwaltung in der Schulplanung- und Renovierung nicht ausreichend bedacht. Auch muss ein Schulhof nicht aufwändig über mehrere Jahre umgestaltet werden, sondern es lohnt sich, klein anzufangen und die Umgestaltung Schritt für Schritt anzugehen. Der Umbau ermöglicht auch eine neue Wertschätzung des Raumes, was für einen neuen Umgang mit dem Raum sorge. Jedoch kann es immer wieder sein, dass Lehrende nicht offen für Veränderungsprozesse sind. Ebenso hat jede Schule sehr unterschiedliche Voraussetzungen z.B. in der Schülerschaft oder bei den finanziellen und räumlichen Möglichkeiten.


Workshop „Rhythmisierung und Lernzeiten“

Im Workshop „Rhythmisierung und Lernzeiten“ stellten Katrin Hellmich und Jennifer Welke von der Hagenschule aus Dinslaken das Lernzeitenkonzept ihrer offenen Ganztagsgrundschule vor. An der Hagenschule gibt es neben dem „klassischen“ offenen Ganztag pro Jahrgang auch eine sogenannte rhythmisierte Ganztagsklasse. Hier gibt es keine Trennung zwischen vormittäglichem Unterricht und nachmittäglichen „Ganztagsangeboten“. Vielmehr sind Unterricht und Ganztagsangebote in der Kernzeit von 07:00 – 15:00 Uhr - am Rhythmus der Kinder orientiert - auf vielfache Weise miteinander verzahnt. Den Kindern, welche die rhythmisierten Ganztagsklassen besuchen, wird hierbei auch keine klassische Hausaufgabenbetreuung mehr zu Teil, sondern sie vertiefen die im Unterricht gelernten Inhalte in sogenannten Lernzeiten. Die Referierenden thematisierten in ihrem Vortrag u.a. Rahmenbedingungen, die aus Ihrer Sicht notwendig für eine erfolgreiche Umsetzung der Lernzeit sind: Es braucht beispielsweise entsprechende Räumlichkeiten (z.B. zur Differenzierung und um unterschiedliche Lernformen zu ermöglichen), es braucht einen entsprechenden Personaleinsatz und eine Abstimmung der beteiligten Fachkräfte untereinander (z.B. bezüglich der Tätigkeits- und Rollengestaltung) Weiterhin gingen die Referentinnen auf die Stundenplangestaltung ein und erläuterten die konkrete Gestaltung der Lernzeiten.

Die Lernzeiten an der Hagenschule unterscheiden sich von der klassischen Hausaufgabenbetreuung maßgeblich dadurch, dass sie sowohl vormittags als auch nachmittags in den Stundenplan eingebettet sind und somit für alle Kinder der Klasse gelten, unabhängig davon, ob sie nach 15 Uhr noch am offenen Ganztag teilnehmen oder nicht. Außerdem werden die Schüler*innen sowohl von der Fachlehrkraft als auch von der/dem Erzieher*in unterstützt, die im Tandem den Unterricht gestalten, sodass inhaltlich während der Lernzeiten an die Unterrichtsthemen angeknüpft werden kann. In diesem Zusammenhang betonten die Referentinnen, dass die pädagogische Fachkraft aus dem Ganztag zur gelingenden Umsetzung dieses Modells mindestens einen Stellenumfang von 30 Stunden pro Woche benötigt.

Die Lernzeiten gestalten sich hierbei immer gleich, damit die Kinder den Ablauf verinnerlichen. Die Schüler*innen arbeiten eigenständig anhand von Wochenplänen und haben eine zusätzliche Übersicht in Form eines Wochenpadlets. Damit die Eltern auch weiterhin einen Überblick über die Themen und Lernfortschritte ihrer Kinder haben, werden die erarbeiteten Aufgaben im Rahmen der Lernzeit entsprechend im Hausaufgabenheft vermerkt. Dabei wird grundsätzlich das Ziel verfolgt, dass die Kinder weitestgehend ohne Hausaufgaben die Schule verlassen und alles Nötige bereits im Rahmen der Schulzeit erledigt haben.

Die Hagenschule hat die Erfahrung gemacht, dass die Lernzeit von den Kindern als effektiv empfunden wird, wenn das Konzept dem Unterricht ähnelt. Die Tandemarbeit ermöglicht darüber hinaus eine Transparenz über Bedarfe, Lernstand und die Geschehnisse des Tages zwischen den Professionen, weil sich Erzieher*in und Lehrkraft den ganzen Tag über im direkten Dialog mit den Kindern befinden. Beide Fachkräfte sind gleichermaßen Bezugspersonen, was für eine individuelle Begleitung der Kinder über den ganzen Tag hinweg förderlich ist.

Der Input zeigte außerdem deutlich, welche Bedeutung Räume und Flächen auch bei der Umsetzung von Lernzeitkonzepten haben. Einerseits spielt aufgrund der häufig bestehenden Raumknappheit die multifunktionale Raumgestaltung und -nutzung eine große Rolle bei der Umsetzung des rhythmisierten Ganztags. Andererseits wurde betont, dass der Unterschied von Spielzeit und Lernzeit ebenfalls über die räumlich differenzierte Ausgestaltung sichtbar werden muss, was durch die Hinzunahme von Fluren, Nebenräumen und Differenzierungsbereichen am Schulstandort in Dinslaken ermöglicht wird. Im Rahmen der Austauschrunde wurde insbesondere die Umsetzung von Brandschutzauflagen bei der Nutzung von Fluren und Nebenräumen thematisiert. Bei der Diskussion stellte sich heraus, dass die Vorgaben je nach Kommune unterschiedlich streng ausgelegt werden und es daher extreme Unterschiede gibt, welche Nutzungsmöglichkeiten jeweils realisierbar sind.

Ebenfalls wurde im interkommunalen Austausch deutlich, dass die Organisation der verschiedenen Klassen in Lern- und Spielzeiten in unterschiedlichen Räumen eine erhöhte logistische Herausforderung darstellt, was eine langfristige Raumnutzungsplanung notwendig macht. Es wurde von mehreren Seiten betont, dass dies nur umsetzbar sei, wenn Kinder verlässlich über mehrere Jahre für den rhythmisierten Ganztag angemeldet werden und nicht nur, wie es an einigen Standorten der Fall ist, Jahresverträge unterzeichnet werden. Die logistische Herausforderung zeigt sich ebenfalls an dem recht durchgetakteten Stundenplan der Hagenschule. Eine größere Flexibilität in dessen Ausgestaltung zu bringen, wird von Seiten der Schule forciert, wie Frau Hellmich und Frau Welke betonten.