Exkursion zur Christinaschule nach Pulheim
Am 30.08.2022 fand im Projekt DialOGStandorte die erste Exkursion nach Pulheim zur Christinaschule statt. Die offene Ganztagsgrundschule hat bereits beim 1. Interkommunalen Austauschtreffen der Praxisebene ihre Arbeitsweise mit dem Fokus auf das Thema Raum- und Teamentwicklung vorgestellt. Durch die Exkursion bot sich den Teilnehmenden die Möglichkeit, die Arbeitsweise noch einmal bildhafter zu erleben. Hierbei nahm sich das erweiterte Leitungsteam der Christinaschule, bestehend aus Schul- und OGS-Leitung sowie deren Stellvertretungen, den ganzen Tag für die Gruppe Zeit und trat stets gemeinsam auf. Dies verdeutlichte das Arbeiten auf Augenhöhe der Professionen am Standort und deren gemeinsames Wirken.
An der Christinaschule wurde durch das Projekt „Qualitätsoffensive Ganztag“ der Montag Stiftungen und eine externe Prozessbegleitung ein weitreichender Entwicklungsprozess angeregt, der – so berichtete das multiprofessionelle Leitungsteam – noch bis heute nachhallt. Maßgeblich für diesen Entwicklungsprozess war hierbei die enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen, am Standort tätigen Professionen. Der Tag begann zunächst mit einem gemeinsamen Einstieg, woraufhin das Leitungsteam im Rahmen eines Vortrages die derzeitige Praxis an der offenen Ganztagsgrundschule vorstellte. Hierbei lag der Fokus auf dem Förder- und Forderkonzept der Ganztagsschule. Hieran anschließend konnte, im Rahmen einer Schulbegehung, das multifunktionale Raumkonzept begutachtet und offene Fragen geklärt werden. Im Anschluss an ein gemeinsames Mittagsessen ging das Leitungsteam in einem weiteren Input auf den Weg und die Entwicklungsschritte der Christinaschule bis hin zum heutigen Status-Quo ein.
Förder- und Forderkonzept - Büffelzeiten, Trainingszeiten, Workshops und gemeinsames Lernen – statt Hausaufgaben
Ausgangspunkt der Einführung eines veränderten Förder- und Forderkonzeptes war der Frust, den viele Akteur*innen mit den Hausaufgaben verbanden: Kinder, die diese im Nachmittagsbereich (in ihrer Freizeit) erledigen mussten, Eltern und Mitarbeitende der OGS, die die Kinder hierzu motivieren mussten und Lehrkräfte, die die Hausaufgaben kontrollieren mussten. Aus diesem Grund entschied man sich zur Weiterentwicklung zu einer (möglichst) hausaufgabenfreien Ganztagsschule. Dies bedeutete aber keineswegs die Abschaffung von Hausaufgaben, sondern vielmehr deren qualitätsorientierte Integration sogenannter Büffelzeiten. Die Grundidee war hierbei, Zeiträume im Schulalltag zu schaffen, in denen Hausaufgaben mit der Unterstützung von geschultem Personal bearbeitet werden können. Mit Büffelzeiten sind also Zeiträume gemeint, in denen die Schüler*innen sinnvolle Transferaufgaben aus dem Unterricht bearbeiten. Dazu gibt es nach unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden (gehender/rennender/sprintender Büffel) gestaltete Materialien, aus denen die Schüler*innen selbstständig wählen können. Wenn sie die jeweilige Pflicht des Tages erledigt haben, können sie frei entscheiden, wie sie die weitere Büffelzeit nutzen.
Das Kernziel der Büffelzeit ist es, dass die Schüler*innen Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen. Hierbei soll die Qualität gegenüber der Quantität überwiegen. Das heißt, dass die Kinder ihre eigenen, für sie sinnvollen, Aufgaben auswählen. Damit dies langfristig gelingt und die Schüler*innen nicht zu einseitig lernen, benötigt es das Erlernen einer guten Selbsteinschätzung sowie regelmäßiges Feedback von den Mitarbeitenden der Ganztagsschule – bei gleichzeitigem Verzicht auf ein umfassendes Kontrollieren der erledigten Aufgaben. Nichtsdestotrotz werden Lernstände jedoch beim Erreichen sogenannter Haltestellen überprüft.
Die Büffelzeiten finden dreimal wöchentlich jeweils in der 5. oder 6. Stunde statt und werden gemeinsam von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften begleitet. Damit auch letztere inhaltlich auf dem aktuellen Stand sind, begleiten diese den Unterricht vormittags ab 10 Uhr regelmäßig mit. Durch das zusätzliche pädagogische Personal im Unterricht und den multiprofessionellen Blick auf die Schüler*innen verbessert sich gleichzeitig die Unterrichtsqualität. Darüber hinaus steigert dies das Ansehen des pädagogischen Personals bei Eltern und Kindern und führt zu einer engeren Verzahnung der Professionen.
Über die Büffelzeiten hinaus wird der Unterricht jeden Morgen mit Trainingszeiten begonnen. Das bedeutet, dass die Schüler*innen Aufgaben aus einem für sie individuell gestalteten Ordner bearbeiten und so ihren Einstieg in den Schultag individuell gestalten können. Auch das hier zur Verfügung gestellte Material bietet Möglichkeiten der Selbstkontrolle. Das Gemeinsame Lernen ist eine weitere Säule des Schulkonzeptes: An der Christinaschule begleiten Sonderpädagoginnen einige Klassen, sodass im Team unterrichtet wird. So gibt es genügend Raum für das Lernen in Kleingruppen sowie für die individuelle Förderung. Wöchentlich stattfindende Workshops bilden den vierten Schwerpunk des Förder- und Forderkonzeptes. Jeden Dienstag finden Klassen- und jahrgangsübergreifende Workshops von Spanisch über Kunst bis hin zu sportlichen und musikalischen Aktivitäten statt. Die Schüler*innen wählen immer für den Zeitraum zwischen zwei Ferienblöcken einen Workshop aus und lernen so über den alltäglichen Unterricht hinaus neue Themen kennen oder können ihre Fähigkeiten weiterentwickeln. Die Workshops werden hierbei sowohl von Lehrkräften als auch von OGS-Fachkräften angeboten.
Das multifunktionale Raumkonzept der Christinaschule
Ein weiterer, wichtiger Aspekt der Qualitätsentwicklung der Christinaschule war und ist die Umgestaltung der Räumlichkeiten und Flächen am Standort. Hintergrund der Weiterentwicklung des Raumkonzeptes war eine steigende Anzahl von Schüler*innen bei gleichzeitig steigende Anmeldezahlen im Nachmittagsbereich. Aus diesem Grund entschied man sich, die separate Raumnutzung von Vor- und Nachmittag zugunsten einer gemeinsamen, multifunktionalen Raumnutzung aufzugeben.
Begleitet von ein paar Umbau-, Anbau- und Entrümpelungsmaßnahmen wurde (und werden bis heute), ein neues Raumkonzept geschaffen, welches das vorhandene Raumangebot effektiver zu nutzen weiß. Dieser Umgestaltungsprozess löste hierbei auch einen umfangreichen Teamentwicklungsprozess aus, da die Professionen ihr „Besitzdenken“ an Räumlichkeiten aufgeben mussten. Im Rahmen eines kleinen Modellprojektes am Standort, sollte ein Tandem bestehend aus einer Lehrkraft und einer OGS Fachkraft einen Raum so einrichten, dass dieser sowohl für den Unterricht als auch für OGS-Aktivitäten genutzt werden kann. Die Ergebnisse dieses – nicht immer konfliktfreien Prozesses – wurden im Anschluss im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz vorgestellt und, mit ein paar Modifikationen, auch auf andere Räume übertragen. Hierdurch wurden die ehemaligen Klassenräume zu sogenannten Heimaträumen. Diese bieten den Kinder - sowohl vormittags als auch nachmittags eine Heimat, unabhängig ob Unterricht, OGS-Angebote oder Workshops stattfinden. Neben den Heimaträumen gibt es auch zahlreiche Themenräume wie beispielsweise den Musikraum, den Kunstraum, den Ruheraum, den Turn und Spielraum usw. in denen sich die Kinder aufhalten können.
Mit der multifunktionalen Raumnutzung geht auch ein offeneres Raumkonzept einher, welches den Kindern in bestimmten Zeitblöcken ermöglicht, sich frei und eigenverantwortlich auf dem Schulgelände und im Gebäude zu bewegen. Damit die Mitarbeitenden und die Eltern die Aufenthaltsorte der Kinder dennoch im Blick behalten können, gibt es in der Eingangshalle der Schule ein Magnetboard. An diesem sollen die Kinder mit Hilfe von personalisierten Magneten ihre Standorte angeben. Durch die offene Nutzung des Schulgebäudes hat sich auch ein wertschätzender Umgang der Kinder mit dem Schulgebäude etabliert, sodass keine Unruhe entsteht, während sie sich frei bewegen.
Nicht nur die Räumlichkeiten der Kinder haben sich im Rahmen des Entwicklungsprozesses verändert, sondern auch die der Erwachsenen, die am Standort tätig sind. Aus dem Lehrer*innenzimmer wurde ein Teamraum, der für alle Professionen offensteht. Dies erleichtert den Austausch untereinander (auch informell) und führt zu einer engeren Verzahnung der Professionen.
Der Weg der Christinaschule
Der Weg der Christinaschule bis zum heutigen Status-Quo verlief dabei nicht ohne Hürden. Es benötigte viel Überzeugungskraft und Geduld, um alle Beteiligten bei den Entwicklungsprozessen mit ins Boot zu holen. Um einen so umfangreichen Schulentwicklungsprozess erfolgreich zu gestalten, so betonte das erweiterte Schulleitungsteam, ist es unabdingbar, das gesamte Team mitzunehmen und hier für einen gewissen Rückhalt zu sorgen. Nicht zuletzt um auch kritischen Stimmen von außen, z.B. von den Eltern oder der Schulverwaltung, selbstbewusst entgegentreten zu können. Eine weitere Botschaft des Leitungsteams war es darüber hinaus, dass man keine allzu große Angst vor kritischen Stimmen bei Veränderungsprozessen haben sollte, sondern mutig vorweggehen und ruhig auch mal etwas wagen sollte.
„Wenn ein Schiff erstmal in Bewegung ist, dann ist es schwierig, dieses aufzuhalten“ so der Schulleiter, Herr Klann. Aus diesem Grund hört die Christinaschule auch heute nicht auf, ihre Veränderungen zu evaluieren und weiter zu denken. So gibt es seit dem Schuljahr 2022/2023 beispielsweise offene Essenzeiten, in denen die Schüler*innen in einem Zeitraum von anderthalb Stunden selbst entscheiden können, wann sie Mittagessen möchten. Wohin der Weg der Christinaschule in der Zukunft noch führt, wird sich zeigen. Bis dahin verbleiben wir auf jeden Fall sehr inspiriert und bedanken uns ganz herzlich bei der Christinaschule für diesen tollen Einblick!