Zum Inhalt springen

7. Interkommunales Netzwerktreffen: "Essen und Trinken im Ganztag – Verpflegung als Bestandteil der Qualitätsentwicklung in offenen Ganztagsgrundschulen"

Am 16.11.2023 fand im Wissenschaftspark in Gelsenkirchen das interkommunale Austauschtreffen zum Thema „Essen und Trinken im Ganztag“ statt. Da das Thema Verpflegung beide Ebenen gleichermaßen betrifft, wurde die Veranstaltung explizit als gemeinsame Veranstaltung für die Praxis- und Steuerungsebene im Projekt angeboten. Neben Inputs zu Qualitätsaspekten der Verpflegung in Ganztagsschulen, stellte die Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung NRW sich sowie ihre Angebote vor. Darüber hinaus hatten die Teilnehmenden im Rahmen einer offenen Themenrunde und verschiedener Workshops Zeit, sich unter Kolleg*innen auszutauschen. 

Zunächst wurden die Teilnehmenden von André Altermann und Niklas Kühl begrüßt. Die beiden betonten, dass man wahrgenommen habe, dass sich zunehmend mehr Ganztagsgrundschulen und Kommunen, vor dem Hintergrund des Rechtsanspruches, mit der Verpflegungssituation vor Ort beschäftigen. Die Verpflegungssituation stelle dabei häufig ein „Nadelöhr“ für den weiteren Ausbau von Ganztagsplätzen dar. Räume für außerunterrichtliche Angebote können vergleichsweise leicht, durch eine gemeinsame Nutzung am Vor- und Nachmittag geschaffen werden, jedoch könne dieses Mehr an Kindern vielerorts nicht adäquat verpflegt werden, da die Verpflegungskapazitäten ursprünglich für wesentlich weniger Kinder konzipiert wurden. 

Neben diesem quantitativen Aspekt der Verpflegung wurde im Rahmen der Veranstaltung aber auch explizit auf qualitative Aspekte geblickt: Was macht eine qualitätsvolle Verpflegung aus? Wie kann mehr Nachhaltigkeit in der Schulverpflegung gefördert werden? Wie können Kinder stärker an der Gestaltung der Verpflegungssituation beteiligt werden? 

Auf die Begrüßung folgte ein Vortrag von Stephanie Klein, Mitarbeiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. und dort für den Bereich Schulverpflegung zuständig. Im Rahmen Ihres Vortrags mit dem Titel „Gemeinsam eine gesundheitsfördernde und nachhaltige Verpflegung vorantreiben“ richtete Frau Klein den Blick sowohl auf (Was macht eine gesundheitsfördernde und nachhaltige Verpflegung aus?), als auch neben den Teller (z.B. welche Abstimmungs- und Planungsprozesse sind hierfür notwendig?). Bei Ihrem Vortrag orientierte die Referentin sich an den „DGE-Qualitätsstandards für die Verpflegung in Schulen“, die kürzlich in der 5. korrigierten und aktualisierten Auflage erschienen sind.

Sie ging dabei insbesondere ein auf:  

  • die zu beteiligenden Akteure (Essensanbietende, Schulteam, Kinder und Eltern und bestenfalls ein*e Verpflegungsbeauftragte*r), 
  • die Prozesskette der Verpflegung (von Ausschreibung, über Planung, Einkauf, Zubereitung und Ausgabe bis hin zur Entsorgung und Reinigung) 
  • sowie auf die übergeordneten Aspekte des Verpflegungsleitbildes, der Ernährungsbildung sowie einer adäquaten Gestaltung der Essumgebung. 

Hieran anschließend stellte Kirstin Gembalies-Wrobel die Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung NRW sowie deren Angebote und Unterstützungsmöglichkeiten vor. Frau Gembalies-Wrobel ist abgeordnete Lehrkraft bei der Vernetzungsstelle und in diesem Zuge Ansprechpartnerin für den Bereich Schulverpflegung. Neben online-Fortbildungen zu diversen Themen wie Ernährungsbildung und der Erstellung eines Ernährungskonzeptes, bietet die Vernetzungsstelle auch individuelle Beratungen von Schulgemeinschaften und -trägern an. Darüber hinaus findet man auf der Website www.kita-schulverpflegung.nrw praxiserprobte Rezepte, Leitfäden und Handreichungen zu einschlägigen Themen, online Tools wie beispielsweise einen Speiseplancheck für eine klimafreundliche Ernährung und vieles Mehr (Links zu den jeweiligen Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie in dem Dokument in der rechten Spalte). Während Ihres Vortrages ging Frau Gembalies-Wrobel u.a. auch näher auf die Infografik Schulessen ein. Diese visualisiert anhand von Grafiken wichtige Aspekte und Stellschrauben des Essens und Trinkens im Kontext (Ganztags-)Schule. 

Austausch in Gruppen

Anschließend wurde die erste Austauschphase eingeläutet. Hier hatten die Anwesenden die Möglichkeit sich ergebnisoffen über Aspekte der Verpflegung auszutauschen. Hierbei gab es eine Gruppe mit Teilnehmenden der Praxisebene und eine mit Personen der Steuerungsebene (kommunale- und OGS-Trägervertreter*innen). 

Die Praktiker*innen tauschten sich zu folgenden Fragestellungen zunächst in Kleingruppen aus: 

  • Woran denke ich zuerst, wenn ich an die Verpflegungssituation an meiner Schule denke?
  • Was zeichnet eine gute (Mittags-)Verpflegung für mich aus? 
  • Was habe ich aus den bisherigen Inputs mitgenommen bzw. welche Fragen haben diese bei mir aufgeworfen?  

Hieran anschließend fanden sich die Teilnehmenden in der großen Runde zusammen, um sich weiter auszutauschen. Die Teilnehmenden meldeten u.a. zurück, dass die genannten Aspekte aus dem Input von Fr. Klein (also die Qualitätsstandards in der Verpflegung) vielerorts nicht umgesetzt werden können, da es an Raum, Ausstattung, Zeit und/oder Personal mangeln würde. An einigen Standorten müsse die Verpflegung aufgrund dieser Mängel in einem Zeitraum von 3 Stunden durchgeführt werden (z.B. 11:00 – 14:00 Uhr). Dies sei eine immense Herausforderung für das ganze System, da dies mit vielen Absprachen und Unwägbarkeiten verbunden ist. Insbesondere für die Kinder sei dies keine schöne Situation, da diese dann in eng getakteten Schichten essen müssen. Für Genuss und Austausch bleibt hier wenig Zeit. Außerdem essen einige Kinder dadurch bereits sehr früh, andere wiederum sehr spät.  

Um diesen Engpass in zentralen Verpflegungsräumen zu umgehen, erproben einige Standorte derzeit dezentrale Lösungen: Gegessen wird nicht in extra dafür vorgesehen Mensen/ Essräumen, sondern in den Klassen- und Gruppenräumen. Einige Personen sehen diese Lösung als problematisch an, da dies Folgeprobleme nach sich zieht (das Essen muss durch das Schulgebäude transportiert werden, Hygieneaspekte und Gerüche in den Gruppenräumen). Andere betonten die Chancen dieses Settings bzw. sehen es als gute Lösung an, weil man so entspannt in einem festen Gruppensetting essen kann. Dieses Modell einer dezentralen Verpflegung wird von einigen Teilnehmenden als „Zukunftsmodell“ betrachtet, da eine weitreichende Veränderung der Essensituation, im Sinne der Schaffung ausreichender explizit ausgewiesener Essens-Räume, vielerorts als unrealistisch betrachtet wird. 

Die Diskussion zeigte, dass sehr viele Standorte derzeit ihre Verpflegungssituation überdenken, nach neuen Lösungen suchen und teilweise auch schon konkrete Maßnahmen beschlossen haben. Deutlich wurde am Input der Vernetzungsstelle Schulverpflegung NRW außerdem nochmal, dass es eine gute Abstimmung zwischen der Praxis- und Steuerungsebene brauche. Beispielsweise wenn es um die Anschaffung neuer Küchenausstattung gehe. In der Praxis ist diese Abstimmung aber nicht immer gegeben. Dies führe zu Frustration, beispielsweise wenn dringend benötigte Küchenausstattung nicht bereitgestellt wird. In einigen Kommunen gibt es bereits sogenannte ‚Verpflegungsbeauftragte‘, die diese Scharnierfunktion übernehmen, vor Ort zur Verpflegungssituation beraten und im besten Fall neue Lösungswege aufzeigen können sowie die jeweiligen Bedarfe der Praxis an den Schulträger weiterleiten.  

Da derzeit, vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs, in der kommunalen OGS-Landschaft viel Bewegung ist und insbesondere die Verpflegungssituationen vor Ort besonders unter die Lupe genommen werden, sind sich alle Anwesenden einig, dass man bei der Weiterentwicklung groß denken müsse. Für die Zukunft sollte mit Ganztagsquoten von 80-100% in der Verpflegung gerechnet werden und die Räumlichkeiten sowie die Ausstattung entsprechend hierfür geplant/ geschaffen werden. Tue man dies nicht, dann stehe man in ein paar Jahren vor den gleichen Problemen wie heute, was wiederum teure Nachbesserungen nach sich ziehen würde.

- Dokumentation folgt -

Workshops zu ausgewählten Aspekten der Verpflegung im Ganztag

Im Anschluss an die Mittagspause, bei der, entsprechend der Zielsetzung der Veranstaltung auch auf eine nachhaltige und regionale Verpflegung geachtet wurde, hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, ausgewählte Aspekte der Verpflegung in Ganztagsgrundschulen in Workshops zu vertiefen. 

Gutes Mittagessen ist mehr als nur Nahrungsaufnahme. Darin sind sich alle einig und trotzdem tritt dieser Aspekt zwischen finanziellen, organisatorischen, räumlichen und personellen Herausforderungen bei der Verpflegung der Kinder in offenen Ganztagsgrundschulen schnell in den Hintergrund. Im Rahmen des Workshops ‚Pädagogische Aspekte der (Mittags-)Verpflegung‘ stellte Prof. Dr. Katharina Gosse aktuelle Ergebnisse zu ihrem Forschungsprojekt „Das Mittagessen als Ort der demokratischen Bildung – eine ethnographische Studie zu Nachmittagsangeboten der Kinder- und Jugendhilfe an Ganztagsgrundschulen“ vor. Anhand dessen und vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Praxis der Teilnehmenden wurden im Rahmen des Workshops die Ergebnisse mit der pädagogischen Praxis abgeglichen und diskutiert. 

Prof. Dr. Katharina Gosse stellte zunächst das Forschungsprojekt, die -methode sowie dessen Umsetzung vor. Im Rahmen des Workshops wurden daraufhin ausgewählte Ergebnisse zu den folgenden pädagogischen Aspekten der (Mittags-)Verpflegung vorgestellt, mit den Erfahrungen der Teilnehmenden abgeglichen und diskutiert: 

  • Die Organisation des Mittagessens: Räume und Zeiten 
  • Intergenerationelle Vergemeinschaftungen 
  • (Erziehungs)Regeln 

Die Organisation des Mittagessens: Räume und Zeiten 

Das Forschungsprojekt zeigte deutlich, dass es kaum möglich ist, die Organisation des Mittagessens zwischen verschiedenen Ganztagsgrundschulen zu vergleichen, da diese immer von den individuellen Gegebenheiten vor Ort (Raum, Personal, Art des Caterings, Schulgröße, etc.) abhängig ist. Die Teilnehmenden des Workshops bestätigten die Ergebnisse aus der Praxis und berichteten von den unterschiedlichen Umsetzungen an ihren eigenen Standorten. Deutlich wurde, dass es häufig die fehlende Zeit ist, die zu Unruhen bei der Mittagsversorgung führt und auch individuelle und häufig kurze Essenszeiten nicht zielführend seien. Einzelne Schulstandorte berichteten, dass bereits eine Art ‚Mensabetrieb‘ ausprobiert wurde, sodass die Kinder innerhalb eines Zeitrahmens selbst entscheiden können, wann sie das Mittagessen zu sich nehmen. Diese Variante ist vielversprechend, da die Praxis zeigt, dass sich die Mittagsversorgung entzerrt und sich insgesamt, sobald Routine eingetreten ist, ruhiger gestaltet. Für dieses Modell bedarf es allerdings eine entsprechende Essenszubereitung und einen passenden Caterer und ist vor allem in der Umstellung eine große Herausforderung. 

Intergenerationelle Vergemeinschaftungen 

Bei dem Aspekt der intergenerationellen Vergemeinschaftung wurde im Rahmen des Forschungsprojekts der Frage nachgegangen, wer wann und in welchem Setting beim Mittagessen zusammenkommt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern in der Praxis eher situativ und kurzweilig gestalten und kaum in die Tiefe gehen. Bei den Mitarbeitenden liegt der Fokus auf dem reibungslosen Ablauf der Mittagszeit. Auch diese Ergebnisse wurden aus der Praxis bestätigt. So sagte eine Teilnehmerin: „Das Mittagessen dient vorrangig der Nahrungsaufnahme, damit die Kinder versorgt sind. Die dafür notwendigen organisatorischen Abläufe binden so viele Ressourcen, dass für Beziehungsarbeit beim Mittagessen kaum Zeit bleibt.“ Von den Teilnehmenden wurde als ein Lösungsvorschlag genannt, dass durch personelle Verstärkung (bspw. in Form von Hauswirtschaftskräften) die OGS-Mitarbeitenden von den organisatorischen Aufgaben stärker entlastet werden könnten, um selbst mehr an den Tischen präsent zu sein. 

 (Erziehungs-)Regeln

Das Forschungsprojekt zeigte deutlich, dass Regeln (am häufigsten ‚ruhig sein!‘) im Rahmen der (Mittags-)Versorgung eine hohe Relevanz haben. Regelmäßige Ermahnungen führen zu einer immer angespannteren Atmosphäre und Unruhe. Dabei ist es häufig der Geräuschpegel, der versucht wird zu reduzieren, was dem Sinn der Vergemeinschaftung zwischen Kindern und auch den Erwachsenen im Rahmen der Mittagszeit widerspricht. Einerseits sollen sich Kinder unterhalten und austauschen, gleichzeitig erzeugt die Lautstärke Stress und Unruhe. Die Workshop Teilnehmenden nehmen diese Diskrepanz an ihren eigenen Standorten ebenfalls wahr. Einige Standorte versuchen daher die Mittagszeit räumlich und/oder zeitlich zu entzerren beziehungsweise stärker mit Trennwänden und einer schalldämmenden Raumgestaltung oder eher eines restaurantähnlichen Aufbaus der Mittagessensräume Abhilfe zu schaffen. 

Die Workshopphase machte deutlich, dass die Forschungsergebnisse aus der Praxis bestätigt werden konnten. Gleichzeitig zeigte sich im Austausch und in den Diskussionen, dass immer wieder Ansätze ausprobiert und evaluiert werden. Die Mittagsversorgung an Ganztagsgrundschulen ist und bleibt komplex und den Herausforderungen kann nur durch das Erproben verschiedener Modelle für den jeweiligen Standort mit seinen individuellen Herausforderungen begegnet werden. 

Abschluss im Plenum

Nach den Workshops kamen die Teilnehmenden noch einmal für einen Ausklang und ein Feedback zu der Veranstaltung im Plenum zusammen. 

Darin, dass es für die anstehenden Herausforderungen und Entwicklungen im Verpflegungsbereich einer engen Abstimmung zwischen der Steuerungs- und Praxisebene braucht, waren sich alle einig. Es sollte eine gemeinsame Planung geben (Was braucht es vor Ort, um die Verpflegungssituation weiterzuentwickeln?) und dabei sollte groß gedacht werden. Zu dieser engen Abstimmung gehört auch eine kontinuierliche Kommunikation sowie eine Transparenz darüber, was möglich ist und warum einige Dinge auch nicht gehen oder vorankommen. Die Etablierung von Verpflegungsbeauftragten wird in diesem Zuge als sinnvoll erachtet, die Schaffung einer solchen Stelle ist allerdings nicht für jede Kommune realisierbar. 

Die Orientierung an Qualitätsstandards für die Verpflegung ist richtig und wichtig. Die Gegebenheiten vor Ort sind aber teilweise so herausfordernd, dass lediglich die Nahrungsaufnahme der Kinder im Fokus stehe und die Entwicklung qualitativer Aspekte -z.B. hinsichtlich einer kindgerechten und nachhaltigen Verpflegung - nur in Ansätzen umsetzbar ist. 

Unter diesen Bedingungen ist es jedoch umso wichtiger, den Austausch mit dem Schulträger und weiteren Akteur*innen (OGS-Träger, Essensanbietende) zu suchen, um gemeinsam anhand von standortspezifischen Stellschrauben die Situation verbessern zu können. Auch kleine Veränderungen können bereits helfen bzw. einen Unterschied machen. Dabei ist es außerdem wichtig, auf bereits vorhandene Expertise und Beratungsmöglichkeiten in diesem Bereich, wie beispielsweise die Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung, zurückzugreifen.