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3. interkommunales Netzwerktreffen der Steuerungsgruppen im Projekt DialOGStandorte - Herausforderungen und Umsetzungsstrategien des Rechtsanspruchs auf ganztägige Förderung

Der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz im Primarbereich ab dem Schuljahr 2026/27 und die damit verbundenen Herausforderungen sind ein Thema, welches derzeit viele AkteurInnen aus kommunalen Steuerungsbezügen beschäftigt. Aus diesem Grund wurde der Rechtsanspruch und die damit einhergehenden Implikationen für Kommunen beim 3. interkommunalen Austauschtreffen der Steuerungsgruppen im Projekt DialOGStandorte am 22.03.2022 thematisiert. Hierbei wurde deutlich, dass, auch wenn derzeit noch keine Eckpunkte für ein Landesausführungsgesetz vorhanden sind, bereits jetzt Planungs- und Abstimmungsprozesse in Kommunen angestoßen werden müssen und dabei auch die Qualität in den Blick genommen werden muss. Das Austauschtreffen stellte hierbei einen Auftakt für eine Veranstaltungsreihe zum Thema Rechtsanspruch dar, bei dem wichtige zukünftige Handlungsfelder für Kommunen zur Umsetzung des Rechtsanspruchs erarbeitet werden sollen.

Als Keynote-Speaker führte Prof. Dr. Falk Radisch von der Universität Rostock in das Netzwerktreffen ein.


Input Prof. Dr. Falk Radisch


In seinem Vortrag thematisierte Radisch Aspekte der (kommunalen) Steuerung des Ganztags entlang von vier Thesen. Ein besonderer Fokus lag dabei insbesondere auf dem Thema Qualitätsentwicklung.

These 1: Die Qualität des Ganztags ist unabhängig vom institutionellen Rahmen und wird an einem konkreten Ziel bzw. der Erreichung dieses Zieles festgemacht. Die Aushandlung und Festlegung dieses Ziels sowie die kontinuierliche Überprüfung der Zielerreichung ist eine wichtige Aufgabe der Steuerung des Ganztags.

Hierfür bedarf es:

  • Zielklarheit sowie eine Prozessbeschreibung und -planung anhand konkreter Zieldimensionen
  • Eines Prozesses des gemeinsamen Abwägens und Begründens
  • Der Definition einer breiten Palette von Prozessmerkmalen, die in unterschiedlichen Konstellationen hilfreich sein können. Diese können spezifisch konkretisiert werden mit Adaptionsmöglichkeiten und -notwendigkeiten für die einzelnen Ganztagsschulen

These 2: Die Unterscheidung zwischen offenem und gebundenem Ganztag ist für die Debatte hinderlich. Die Steuerung des Ganztags muss einen einheitlichen, verlässlichen und gestaltbaren zeitlichen Rahmen schaffen, der zur jeweiligen Situation vor Ort passt.

Dafür braucht es:

  • Ein neues Verständnis von Ganztag
  • Einheitliche Mittelzuweisungen nach Kern- und Angebotszeit
  • Flexibilität bei der Gestaltung der Kern- und Angebotszeiten
  • Gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe/-arbeit usw.
  • Qualifizierungen vor allem zu Rhythmisierungskonzepten
  • Verzicht auf Elternbeiträge für die gesamte Öffnungszeit der Ganztagsschule (Kern- und Angebotszeit)
  • Anpassung des Verwaltungspersonals

These 3: Ganztag braucht Multiprofessionalität und braucht die gleichberechtigte Beteiligung verschiedener Träger. Die Steuerung muss sicherstellen, dass alle Beteiligten auf Augenhöhe zusammenarbeiten können.

Hierfür bedarf es

  • Einer Klärung von Zielsetzung und pädagogischer Verantwortung – je konkreter, desto besser
  • Initiierung von Austauschprozessen über Rollenverständnis und päd. Leitbilder
  • Paritätische, zielorientierte Teambildung
  • Gleichberechtigte Mitbestimmung
  • Einheitliches Konzept der Personalentwicklung
  • Stabilität und Umfang der Anstellungsverhältnisse aller Partner
  • Schaffung von zeitlichen, räumlichen und strukturellen Kooperationsmöglichkeiten
  • Durchführung gemeinsamer Weiterbildungen
  • Orientierung an Nachfrage und Möglichkeiten der jeweiligen Bildungslandschaft

These 4: Ganztag braucht ein kooperatives, erweitertes Leitungsverständnis und -handeln.

In einer an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Umsetzung des Rechtsanspruches und die Weiterentwicklung einer pädagogischen Qualität im offenen Ganztag Anstrengungen und das Zusammenwirken auf unterschiedlichen Ebenen (Bund – Land – Kommune - Praxis) bedarf.

Zunächst bedarf es auf Landesebene eines Ausführungsgesetztes, welches die Qualität mitdenkt und diese – z.B. durch ein Fachkräftegebote in offenen Ganztagsgrundschulen sowie eine auskömmliche Finanzierung – rechtlich kodifiziert. Es braucht darüber hinaus vieler investiver Mittel, die zielgerichtet eingesetzt werden müssen. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist das Thema Fachkräftegewinnung und -ausbildung. Hierfür braucht es entsprechender Kampagnen, einer Veränderung bzw. Optimierung bestehender Ausbildungsgänge (Lehramt, Sozialpädagogik), welche die Ganztagsschule als Handlungsfeld stärker berücksichtigt sowie der Schaffung neuer Ausbildungsgänge und -kapazitäten. Darüber hinaus müssen im Ganztag attraktive Stellen geschaffen werden (hinsichtlich Umfang, Befristung und Vergütung), ansonsten droht ein Abwandern von Fachkräften in andere Handlungsfelder.  

Jugendhilfe und Schule müssen vor Ort in den Kommune enger zusammenwirken und ein gemeinsames Verständnis von Ganztagsbildung entwickeln. Es bedarf in diesem Zuge abgestimmter, gemeinsamer Planungs- und Qualitätsentwicklungsprozesse von Jugendhilfe, Schule und weiterer relevanten AkteurInnen. Bei diesen Planungen gilt es auch, die Perspektiven der Kinder stärker einzubeziehen.

In einer anschließenden Arbeitsphase waren die Teilnehmenden dazu angehalten, entsprechende Handlungsfelder und Gestaltungsbedarfe, die sich für ihre Kommunen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Rechtsanspruch ergeben, zu erarbeiten. Folgenden Aspekte wurden hierbei benannt:

Das Thema Verzahnung und gemeinsame Steuerung (insbesondere von Jugendhilfe und Schule) ist sehr wichtig, und zwar auf allen Ebenen: Sowohl in den einzelnen Ganztagsgrundschulen, als auch ämterübergreifend in der kommunalen Verwaltung. Hierbei sollten sich nicht nur Jugendhilfe und Schule vernetzen, sondern es sollten z.B. auch das Liegenschafts- und Gesundheitsamt einbezogen werden. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang vor allem gemeinsame Formate bzw. Plattformen für den Austausch zu schaffen und eine gemeinsame Sprache zu finden.

In den Kommunen müssen Konzepte entwickelt werden für die Fachkräftegewinnung und -ausbildung. Eine Frage, die sich in diesem Zuge insbesondere stellt, ist, inwiefern freie Jugendhilfeträger und Kommunen hierbei gut zusammenwirken und -arbeiten können. Es wäre in diesem Zusammenhang auch interessant, auf die Praxis in den teilnehmenden DialOGStandorte-Kommunen zu blicken unter dem Fokus, welche Methoden und Ansätze es hier jeweils gibt und was sich in diesem Zuge bewährt hat.

Ein weiteres Thema von großer Bedeutung ist die Schaffung eines ausreichenden (pädagogischen) Raumbestandes. In diesem Zusammenhang müssen gewisse Standards z.B. für eine ganztägige, gemeinsame und multifunktionale Raumnutzung geschaffen werden. Hierbei darf es aber nicht lediglich um die bloße Schaffung ausreichender Plätze gehen, sondern die pädagogische Qualität muss auch in räumlicher Hinsicht mitgedacht werden. Räume an OGGS müssen z.B. stärker aus kindlicher Perspektive konzipiert und gestaltet werden.

Eng mit der Schaffung entsprechender (räumlicher) Kapazitäten verbunden ist das Thema Bedarfsermittlung und -erhebung. Im Zentrum steht hier die Frage, wie man als Kommune eigene valide und belastbare Erhebungen durchführen und hierdurch ermitteln kann, wie viele Ganztagsplätze zukünftig geschaffen werden müssen. Problematisch ist hierbei jedoch, dass die Rahmenbedingungen eines Rechtsanspruchs noch nicht feststehen und sich erst mit einem Landesausführungsgesetz klären werden. Dies macht eine Bedarfserhebung schwierig.

Und – Last but not least – darf das Thema Qualitätsentwicklung bei der Schaffung von Quantitäten nicht unter den Teppich gekehrt werden. Der Rechtsanspruch ist für Kommunen eine große Herausforderung, aber auch eine Chance, die mit Einführung des Ganztags verbundenen Versprechen – eine Schule, die kindgerechtere und ganzheitlichere Bildungsprozesse ermöglicht – endlich einzulösen.