Exkursion zur OGS Gottfried-Kinkel in Bonn
Am 07.09.2023 konnte erneut eine Exkursion im Rahmen des Projekts DialOGStandorte stattfinden. Gastgeber war dieses Mal die OGS Gottfried-Kinkel in Bonn (im Folgenden GoKi). Die Schule hatte bereits bei mehreren Gelegenheiten im Projekt Aspekte aus ihrem innovativen Ganztagskonzept vorgestellt. Umso mehr freute es die Teilnehmenden, nun vor Ort einen Einblick in die gelebten Strukturen, Konzepte und Arbeitsweisen zu bekommen und diese praktisch miterleben zu können.
Nach einer kurzen Begrüßung und Einführung mit Eckdaten zur Schule und dem Standort durch die aktuell kommissarische Schulleitung Caroline Herzog, wurden die Teilnehmenden von Kindern der 4. Klasse in Kleingruppen durch das Schulgebäude geführt. Diese bekamen die Möglichkeit, IHRE Schule, aus IHRER Perspektive zu zeigen und dabei auch eigene Akzente zu setzen. Im Anschluss wurden ausgewählte Aspekte des Schulkonzeptes in einem offenen Austausch vertieft und deren praktische Umsetzung erörtert. Abschließend wurden im Rahmen eines Ausklangs learnings von der Exkursion reflektiert.
Die OGS Gottfried-Kinkel
Die dreizügige Ganztagsgrundschule befindet sich in Bonn-Oberkassel. Von den ca. 310 Schüler*innen besuchen knapp 300 den Ganztag. Das Kinderwerk Baronsky ist sowohl Träger des offenen Ganztags als auch aller weiteren sozialpädagogischen Angebote am Standort (Inklusionsassistenz, PiAs, etc.). Die Schule benennt und versteht sich als inklusive ganztägige Bildungseinrichtung, die sich durch eine enge und verzahnte Zusammenarbeit aller Systeme auszeichnet. Dies zeigt sich z.B. daran, dass jede Klasse/ Gruppe durch ein Tandem aus Lehrkraft, pädagogischer Fachkraft und in der Regel auch einer Inklusionsassistenz begleitet wird.
Diese tragen das gemeinsame und innovative Lernkonzept an der GoKi, welches sich an den Bildungsgrundsätzen für Kinder im Alter von 0-10 Jahren orientiert.
Bei dem Lernkonzept wird statt klassischer Schulfächer die Persönlichkeitsbildung des Kindes bzw. das Kind an sich ins Zentrum gerückt. Dies resultiert in einer Entschlackung des Lehrplans zugunsten der Akzentuierung von Kompetenzlernen (z.B. Sach-, Methoden, Sozial- und Selbstkompetenz). Damit geht sowohl eine stärkere Orientierung an selbstgesteuertem, selbstbestimmtem und projektorientiertem Lernen als auch ein Fokus auf lösungsorientiertes Denken einher. Folglich wird auch die Beteiligung der Kinder großgeschrieben, da diese sich ihre Lerninhalte ein Stück weit selbst auswählen können. Beispielsweise findet immer donnerstags der „frei day“ an der GoKi statt. Hier haben die Kinder im Zeitrahmen von vier Stunden die Möglichkeit in Kleingruppen an Projekten zum Thema Nachhaltigkeit zu arbeiten. Die Projekte sind dabei fächerübergreifend, werden interessengeleitet durch die Kinder gewählt (und bearbeitet) und sollen den Kindern wichtige Zukunftskompetenzen vermitteln. Die Lernorte gehen dabei auch über das Schulgelände hinaus: Beispielsweise an den nahegelegenen Rhein oder in den angrenzenden Bürgerpark, in den Wald oder in Museen. Die Kinder gestalten ihre Projekte und ihren Lernprozess also eigenaktiv, werden dabei aber durch das multiprofessionelle Team begleitet. Hiermit geht auch eine veränderte Rolle der Mitarbeitenden einher, da diese stärker zu Lernwegbegleiter*innen der Kinder werden und weniger (Unterrichts-)Inhalte nach Curriculum vermitteln.
Zum innovativen Lernkonzept der GoKi gehört auch die weitreichende Beteiligung und Demokratiebildung der Kinder. Diese beginnt im Kleinen in den Klassen mit dem täglichen Morgenkreis. Hier werden, basispartizipatorisch, organisatorische Dinge besprochen, die Kinder erzählen, wie es Ihnen geht bzw. was sie bewegt und stecken sich ihre Lernziele für den Tag und Konflikte/ Probleme können thematisiert werden. Wie das Beispiel des „frei-day“ zeigt, werden Kinder auch stark an ihrem Lernprozess beteiligt bzw. übernehmen viel Eigenverantwortung. Im Klassenrat, den es in jeder Klasse gibt, werden Themen des Zusammenlebens in der Klasse besprochen, aber es können auch Themen eingebracht werden, die die ganze Schule betreffen. Solche Themen, die den ganzen Standort (und nicht nur die eigene Klasse betreffen) können dann, wenn sie nicht im Klassenrat geklärt werden können, von den Klassensprecher*innen in das Kinderparlamenteingebracht werden. Im Kinderparlament sind von den 12 Klassen jeweils die beiden Klassensprecher*innen (immer ein Mädchen und ein Junge) vertreten. Hier werden verbindliche Regelungen für die ganze Schule getroffen, die dann auch gelten: Z.B. bezüglich des Einsatzes eines Teils des Finanzbudgets, über Ausflüge sowie die Festlegung der Themen für die Projektwoche. Das Kinderparlament wird dabei durch die Kinder geleitet. Hierzu wird rotierend eine Gruppe bestimmt, die die Treffen vorbereitet (z.B. indem eine Tagesordnung erstellt wird) und leitet. Die Schulleitung ist bei diesen Prozessen stets involviert (ob bei der Vorbereitung oder Durchführung der Sitzungen), jedoch eher in einer begleitenden Rolle.
Getragen wird das innovative Lernkonzept und die weitreichende Beteiligung der Kinder von einem multiprofessionellen Team, welches ein gemeinsames Verständnis von ganztägiger Bildung erarbeitet hat und tagtäglich lebt. Die multiprofessionelle Teamarbeit fußt dabei auf
- einem gemeinsamen Leitbild sowie gemeinsamen Spielregeln,
- einer klaren Verteilung von Aufgaben und Rollen bei gleichzeitiger Vermeidung einer „Verinselung“ von Zuständigkeiten und Kompetenzen
- sowie klar geregelten Zeiten für den Austausch in den jeweiligen Teams zwecks Reflexion und Weiterentwicklung der Zusammenarbeit.
Hierbei gibt es Zeiten für den Austausch
- im Großteam (hier werden aktuelle Anliegen besprochen und eine gemeinsame Haltung zu Themen entwickelt. Das Großteam umfasst alle Mitarbeitenden am Standort (themenbezogen werden auch Elternvertreter*innen hinzugezogen). Es trifft sich jeden Montag in der Zeit von 16-18 Uhr, ggf. hybrid)
- im erweiterten Schulleitungsteam bestehend aus Schul- und OGS-Leitungen (i.d.R. wöchentlich),
- in den Klassenteams (Lehrkraft und pädagogische Mitarbeiter*innen, i.d.R. wöchentlich),
- in projektbezogene Gruppen (z.B. bei der Erstellung von Schulfilmen oder der Ausarbeitung von Konzepten)
- im Rahmen des pädagogischen (Ganz)Tages (2-3 mal jährlich): Hier sind auch alle Mitarbeitenden am Standort adressiert und es wird gemeinsam an grundlegenden Fragen der Schulentwicklung gearbeitet
Diese enge Abstimmung führt zu einem veränderten Rollenverständnis, welches sich nicht auf genuine Zuständigkeiten der Professionen bezieht, sondern das Kind in den Mittelpunkt stellt. Die Lehrkräfte und pädagogischen Fachkräfte (sowie weitere Professionen) sind gemeinsame Ansprechpartner für Kinder und Eltern, Lerngespräche werden gemeinsam geführt, Projektwochen und Angebote gemeinsam durchgeführt und die Verantwortung für die Nutzung der Räumlichkeiten ist ebenfalls geteilt. Dabei gibt es auch keine strikte zeitliche Trennung der Professionen, in dem Sinne, dass vormittags die Lehrkräfte anwesend sind und nachmittags die pädagogischen Fachkräfte des Ganztages. Durch die Inklusionsassistent*innen und Tandemzeiten ist im Vormittagsbereich immer auch „Jugendhilfe-Personal“ anwesend. Andersherum fließen derzeit auch 36 Lehrer*innenstunden in den Nachmittagsbereich.
Die Zusammenarbeit erfolgt auf Augenhöhe. Alle am Schulstandort tätigen sehen außerdem die Umsetzung von gelingenden Bildungsprozessen in ihrer gemeinsamen Verantwortung. Dies beginnt mit der Außendarstellung auf der Homepage, bei der selbstverständlich alle Mitarbeitenden des Standorts als Teil des Teams vorgestellt werden und nicht vorrangig nach Lehrerkollegium und OGS-Team differenziert wird. Ebenso gibt es, statt einem Lehrer*innenzimmer einen gemeinsamen Personalraum für alle am Standort Tätigen. Hierdurch wird ebenfalls zur engeren Verzahnung des Teams beigetragen, da dies der Ort für den (formellen sowie informellen) kollegialen Austausch ist.
Das enge Zusammenwirken der Professionen zeigt sich ebenfalls in dem multifunktionalen Raum- und Flächenkonzept der GoKi. Dadurch, dass nahezu alle der 310 Schulkinder auch den Ganztag besuchen, wurde eine gemeinsame Nutzung der Räume im Vor- und Nachmittag alternativlos. Die Klassen- bzw. Gruppenräume sind aus diesem Grund so eingerichtet, dass sie über den ganzen Tag für die Kinder nutzbar sind. Übergeordnet orientiert man sich bei der Gestaltung der Räumlichkeiten und Flächen an den Schlüssel-Prinzipien von Rosan Bosch. Diese fußen auf den Bedürfnissen, der Kinder, welche durch die Räume und Flächen an der OGS adressiert werden sollen.
Alle Gruppenräume zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen festen Sitzkreis haben, an dem jeder Tag mit einem Morgenkreis beginnt. Ein weiteres Merkmal, das bei der Gestaltung der Gruppenräume heraussticht, ist, dass diese optisch nicht von klassischen Schultischen und -stühlen dominiert werden. Diese sind nur ein Gestaltungselement neben vielen weiteren: Lese- und Bastelecken ebenso wie Arrangements für Bewegung und Entspannung. Hierbei fällt ebenfalls auf, dass nicht jedes Kind einen Stuhl bzw. Tisch hat, sondern auch hier, neben dem klassischen Frontalunterricht und der Einzelarbeit an Aufgaben, räumlich die Möglichkeit für andere Lernarrangements gegeben wird.
Die meisten Klassenräume haben darüber hinaus noch einen kleineren Differenzierungsraum, der für unterschiedliche Zwecke genutzt werden kann. Weiterhin können auch die Flure durch die Kinder genutzt werden, beispielsweise für Gruppen- oder Einzelarbeiten oder einfach nur zum Spielen. Die Flure sind hierbei mit mobilen Trennwänden, Tischen und Sitzgelegenheiten ausgestattet, die bei Bedarf auf- oder abgebaut werden können. Wenn die Tische beispielsweise nicht benötigt werden, kann man diese einfach an der Wand aufhängen (siehe Fotos). Diese Nutzung der Flure ist mit der örtlichen Brandschutzbehörde abgestimmt und wird dadurch ermöglicht, dass die Schule Cluster gebildet hat, die im Brandfall durch Feuerschutztüren abgetrennt werden können und neben dem Haupteingang zahlreiche weitere Flucht- und Rettungswege aufweisen. So können gewisse Flurabschnitte für pädagogische Zwecke genutzt werden.
Neben den Gruppenräumen und Fluren gibt es zahlreiche Themenräume an der GoKi, die durch die Kinder genutzt werden können. Es gibt u.a.
- einen Snoozelraum,
- eine Bibliothek,
- einen Motorikraum,
- einen Werk- sowie Malraum,
- einen Medienraum
Die Öffnung der Themen- bzw. Neigungsräume haben Priorität am Nachmittag. Die Personalzuweisung wird jeweils für ein halbes Jahr im Vorfeld geplant. Wenn die Themenräume besetzt sind, können die übrigen Gruppenleitungen ebenfalls die Klassenräume für den Nachmittag öffnen. Die Kinder entscheiden selbstständig in welchen Raum sie gehen. Durch ein Klammersystem im Eingangsbereich zeigen sie an, in welchem Raum sie sich befinden, damit die Mitarbeitenden und Eltern eine Übersicht haben.
Der Weg der OGS Gottfried-Kinkel
Nach der Führung und den Inputs, wurden die Eindrücke sowie learnings der Exkursion im Rahmen einer Abschlussrunde reflektiert und diskutiert. Was bei allen Teilnehmenden einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, war v.a. die Offenheit und Flexibilität am Standort: Alle Türen standen offen, die Kinder konnten sich – auch in den Lernphasen – frei im Gebäude und auf dem Schulhof bewegen und eigenaktiv an ihren Projekten arbeiten. Trotz (oder gerade wegen) dieser vielen Freiheiten herrschte eine ruhige und rücksichtsvolle Atmosphäre und die Kinder traten sehr selbstsicher auf, da sie sich ihre offene Ganztagsgrundschule zu eigen machen konnten. Neben dieser Präsenz der Kinder, hat auch die Präsenz der Erwachsenen am Standort Eindruck hinterlassen. Es waren viele Erwachsene bzw. Mitarbeitende sichtbar, ohne dass man diese zwangsläufig in ihrer spezifischen Rolle oder Profession (Lehrkraft, sozialpädagogische Fachkraft, Inklusionsassistenz) erkennen konnte. Stattdessen waren alle für die Kinder ansprechbar und fühlten sich für den Standort verantwortlich. Die Flexibilität und Offenheit zeigt sich auch bei der Nutzung und Gestaltung der Räumlichkeiten und Flächen: Hier gab es weniger starre Zuweisungen und Nutzungen, sondern einen kreativen Umgang mit den vorhandenen Möglichkeiten.
Bezogen auf die Frage, welche konkreten learnings man von der Exkursion mit an den eigenen Standort nehmen könne, mussten die Teilnehmenden die Eindrücke zunächst sacken lassen. Dies aus dem Grund, dass das Ganztagskonzept der Gottfried-Kinkel-Schule – im Vergleich zur eigenen Praxis – anders gelagert und somit - zumindest nicht in Gänze - ohne weiteres anschlussfähig war. Beispielsweise mit Blick auf das kompetenzorientierte Lehr-/Lernkonzept am Standort oder die Menge an Differenzierungs- und Themenräumen. Insgesamt konnten aber alle Teilnehmenden Anregungen für den eigenen Standort mitnehmen:
- Beispielsweise die Einrichtung eines gemeinsamen Personalraums (statt getrennten Aufenthaltsräumen für Lehr- und pädagogische Fachkräfte), um auch die jeweiligen Teams zusammenzubringen
- Das Einrichten von Lernstudios auf den Fluren bzw. die stärkere pädagogische Nutzung von Fluren und weiteren Freiflächen und Nischen am Standort (in Rücksprache mit dem kommunalen Brandschutz)
- Das Einführen eines (teil-)offenen Raumkonzeptes, in dem die Kinder sich eigenverantwortlich bewegen können und ihren ‚Standort‘ mithilfe eines Klammersystems markieren
- Stärker auf ein gemeinsames Wording bzw. eine gemeinsame Darstellung der Professionen nach innen und nach außen achten, um ein Wir-Gefühl zu erzeugen
- Den Kindern mehr Vertrauen entgegenbringen und diese stärker an Entscheidungen partizipieren lassen
Einige der Teilnehmenden meldeten zurück, dass sie am liebsten das gesamte Konzept der GoKi übernehmen wollen würden, aber an den Gegebenheiten vor Ort - seien dies nun fehlende Ressourcen oder Widerstände im Team – scheitern würde. Oftmals können aber schon kleine Veränderungen reichen, um ein Umdenken anzustoßen und damit größere und langfristigere Entwicklungsprozesse zu initiieren. Dies betonte auch Frau Herzog: Auch an der OGS Gottfried-Kinkel blickt man auf einen sehr langfristigen Entwicklungsprozess, der mit kleinen Schritten begonnen wurde und nach wie vor nicht beendet ist. Dieser Prozess verlief dabei auch nicht immer störungs- oder widerstandsfrei. Er wurde jedoch dadurch vorangetrieben, dass man stets ein gemeinsames Ziel und ein gemeinsam erarbeitetes Bildungsverständnis vor Augen hatte und die Perspektive der Kinder konsequent ins Zentrum aller Überlegungen gestellt hat.
Das DialOGStandorte-Projektteam sowie die Teilnehmenden der Exkursion bedanken sich recht herzlich bei dem Mitarbeitenden und den Kindern der GoKi für die erfahrene Gastfreundschaft, die tolle Atmosphäre und vor allem die zahlreichen Inspirationen, die noch lange Nachhallen werden.